Doppelhammer, Bea
Thema: Ehrenamt, Flüchtlingshilfe
M1: PNP, 28.11.2015, Nr. 277, S. 37
"A good start in Germany"
Bea Doppelhammer ist eine von über 80 Ehrenamtlichen im Helferkreis von Neuhaus am Inn - Sie findet: "Neuhaus kann stolz auf sich sein"
von Sabine Kain
Neuhaus am Inn. Es begann am 16. September. Bea Doppelhammer war mit ihrem Mann Max in Schärding und fuhr über die Alte Innbrücke nach Hause. Eine Selbstverständlichkeit für die Neuhauserin, die in 53 Lebensjahren aus ihrem Heimatort nie wegkam. Doch an diesem Tag flattert links nach der Brücke ein Absperrband. Dahinter sind 250 Flüchtlinge versammelt, für die der Weg über den Inn keine Selbstverständlichkeit war. Diesen Anblick nimmt Bea Doppelhammer mit nach Hause. Dort sagt sie dann zu ihrem Mann: "Wir fahren wieder hin."
"Ich kann es nicht lassen, es ist wie mein Baby"
Sie haben oft den Nahen Osten bereist, wurden immer mit großer Gastfreundschaft empfangen. Nun sind sie an der Reihe. Bepackt mit Bananen und Milchbrötchen erreichen sie wieder den Brückenkopf. Während Max – ehemaliger Grenzpolizist – noch am Absperrband die Lage sondiert, schlüpft Bea – gelernte Pflegefachkraft – schon darunter hindurch zu den Menschen. Ihr Englisch ist nicht das Beste, doch das bremst sie nicht. Sie verständigt sich mit Händen, Füßen, einem Lächeln – und beginnt zu helfen.
Damit ist Bea Doppelhammer eine der ersten Helfer, aber bei weitem nicht die einzige. Die 53-Jährige ist in den ersten vier Wochen fast ununterbrochen vor Ort, baut bei ihrem Arbeitgeber Überstunden ab, um helfen zu können. "Ich kann es nicht lassen. Es ist wie mein Baby", sagt sie. Auch an ihrem Hochzeitstag waren die Eheleute an der Brücke, es war der 34. "und ein ganz bewegter Tag", wie sich Bea Doppelhammer erinnert. Um 8.30 Uhr kamen sie zur Grenze und blieben bis halb zwei in der Nacht. Dann fuhren sie heim, doch ihre Gedanken blieben dort.
Die Schicksale, die seit Wochen Neuhaus erreichen, gehen Bea Doppelhammer ans Herz, "weil man wahnsinnig schnell in Beziehung mit den Leuten tritt". Eine Flüchtlingsfamilie hatte in Schärding einen Einheimischen gebeten, sie mit dem Auto nach Neuhaus zu fahren. Zu schwach war die Mutter auf den Beinen, um die letzten Meter selbst zu gehen. Weil sich der Österreicher damit aber der Schleusung schuldig macht, wird die Familie von der Bundespolizei separat zum Verhör gebeten. Völlig aufgelöst heult sich die Frau an Bea Doppelhammers Schulter aus. Und auch der Deutschen kommen Tränen – heute noch.
Aufgeben kommt für die Neuhauser Helfer nicht infrage. Im Gegenteil: Sie organisieren sich, auch mit Hilfe der Gemeinde, die ein Brauereizelt und ein Helferzelt mit provisorischer Küche auf dem Volksfestplatz aufstellt. Ein "Orga-Team" der Ehrenamtlichen koordiniert Sachspenden und Einsatzpläne und baut Informationskanäle auf. Der Helferkreis entsteht. Mittlerweile gehören ihm über 80 Ehrenamtliche an, die sich die Arbeit aufteilen.
Max Doppelhammer wurde rasch zum Tee- und Kaba-Lieferanten. Immer wieder schleppt der 65-Jährige kistenweise Bananen an. Dabei bringt den Eheleuten ihr Engagement auch manchen flapsigen Spruch ein. So bekam Bea eines Tages beim Metzger zu hören: "Holst wieder was für deine Flüchtlinge?" – "Nein", konterte sie, "die essen keine Weißwürste."
Mit Hingabe kümmert sich die Neuhauserin um die Menschen, die in ihrer Gemeinde ankommen. Doch als eines Samstagabends hunderte auf der Brücke standen und das Zelt schon brechend voll war, wurde ihr mulmig: "Wie sollten wir das alleine bewältigen?"
Dann kam die Bundeswehr. Der anfänglich militärische Umgangston im Zelt ist mittlerweile einer kameradschaftlichen Vertrautheit gewichen. Heute nennen die Soldaten Bea Doppelhammer scherzhaft "Mutti". Ihre beiden echten Söhne sind schon erwachsen; die kleine Enkeltochter lebt in Mittelfranken. So schenkt die Oma ihr Herz gern den Flüchtlingskindern.
Der violette Aufdruck "Victoria’s Secret" auf ihrer modischen, schwarzen Shoppingtasche lässt den wahren Inhalt nicht erahnen: Kindersocken, Cremes und rezeptfreie Salben, Vitamintütchen, eine Babyflasche, Bonbons und Seifenblasen schleppt sie stets in ihrer "Einsatztasche" mit. Am Montag hatte sie Zeit und war natürlich im Zelt. Sie nahm ein fünfjähriges Mädchen und ein neun Monate altes Baby auf den Schoß, für die sie Seifenblasen in die Luft pustete. Es dauert nicht lang, bis Oma Bea in leuchtende Kinderaugen sieht. Auch den Erwachsenen wärmt ihr ansteckendes Lachen das Herz. Viele möchten ein Foto mit ihr machen als Erinnerung an ihre erste Erfahrung in Deutschland. Bea Doppelhammer nimmt sie dann in den Arm und wünscht ihnen "a good start in Germany".
Die Dankbarkeit der Flüchtlinge ist groß. "Wenn ich mir Handschuhe überziehe und eine Mülltüte nehme, kommen sofort welche, die mir helfen. Die lassen gar nicht zu, dass ich mich bücke", sagt sie und muss schmunzeln. Ihre Stimme schwankt vor Rührung, als sie von einem syrischen Busfahrer erzählt, der auf Krücken nach Neuhaus kam: "Er hat mich in seine Heimat eingeladen. Wenn der Krieg vorbei ist, soll ich sein erster Gast sein."
Die Anschläge von Paris haben für die Neuhauser nichts geändert, sagt Bea Doppelhammer. "Die Hilfsbereitschaft ist ungebrochen." Und ihr Mann findet: "Wenn unter 1000 Flüchtlingen einer dabei ist, der Böses im Sinn hat, müssen wir uns nicht schämen für unsere Hilfe." Seine Frau teilt diese Meinung: "Ich denke, Neuhaus kann irgendwann sehr stolz darauf sein, wie man mit der Situation umgegangen ist." Sorgen machen sich die Eheleute nur um eines: die Integration, denn "die Probleme beginnen erst nach Neuhaus", sagt Bea.
Syrer will es machen wie die Trümmerfrauen
Wenn ihre Heimatgemeinde die ersten Flüchtlinge dauerhaft aufnimmt, wollen die Doppelhammers ihnen im Alltag helfen, "gemeinsam kochen, eine Busfahrkarte kaufen und und und". Die Streitereien zwischen CSU und CDU findet die 53-Jährige "lächerlich" und bekennt: "Ich stehe hinter Frau Merkel: Wir schaffen das. Aber die EU muss mitziehen."
Die Absprache mit Österreich und die Logistik der Bundespolizei klappt inzwischen so gut, dass die Verweildauer der Flüchtlinge in der Zwischenstation Neuhaus sehr kurz geworden ist. Dennoch fällt Bea Doppelhammer der Abschied jedes Mal aufs Neue schwer. "Sie küssen dich, umarmen dich, bedanken sich", erzählt sie bewegt. "Und dann fragst du dich, wie es wohl weitergeht für sie."
Viele wollen wieder zurück, weiß Max Doppelhammer aus Gesprächen. Er erinnert sich gut an einen jungen Anwalt. Der Syrer zeigte ihm ein Bild von sich im feinen Anzug und mit Aktenkoffer vor einem schmucken Haus. Nach Schweden wollte er, sich fortbilden, arbeiten – aber nicht für immer. "Er hat mir gesagt, er will eines Tages zurück nach Syrien und es machen wie die deutschen Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg: Steine sauber machen und wieder aufeinandersetzen."
Den Helfern in Neuhaus bleiben die Erfahrungen. Für Bea Doppelhammer sind sie kostbar: "Das ist für jeden Helfer ein wichtiger Baustein in seinem Leben. Man lernt wertvolle Menschen kennen und arbeitet in einem Team zusammen, Hand in Hand. So zeigt man den Menschen, die zu uns kommen: Das ist Deutschland."
M2: Bild von Bea Doppelhammer
M3: Didaktische Impulse
1. Erstellt ein ABC zum Thema "Flüchtlingshilfe": Zu jedem Buchstaben des Alphabets werden ein Begriff, ein Satz, ein Schlagwort,... notiert, die eine Art und Weise der Flüchtlingshilfe darstellen. (Hinweis: Dies müssen nicht unbedingt konkrete Hilfsmaßnahmen sein: Bei "R" könnte man auch "Respekt" oder bei "A" "Achtung" beispielsweise aufschreiben, also abstraktere Begrifflichkeiten)
2. Verfasst einen Dankesbrief an Bea Doppelhammer aus der Sicht eines Flüchtlings, der von ihr unterstützt wird!