Dölzer, Gabi
Thema: Ehrenamt, Hilfsbereitschaft, Nächstenhilfe
M1: PNP, 07.12.2013, Nr. 283, S. 18
Eine ganz leise Nummer
Winterzeit, dunkle Zeit, Haupt-Anrufer-Zeit?
Gabi Dölzer: Nein. Man hat so die Phantasie, dass im November oder vor Weihnachten mehr anrufen als im Sommer. Aber bei einem wirklich depressiven Menschen ist das genau umgekehrt, für sie ist jetzt die passende Zeit. Denen geht‘s richtig schlecht im Frühjahr. Wenn das Leben wieder erwacht, dann macht ihnen das Angst.
Pater Ludger Werner: Es kommt noch was dazu: Es gibt eine Riesenmenge an Anrufern, die versuchen, bei den 105 TS-Stellen in Deutschland durchzukommen. Die wenigsten kommen durch. Das heißt, es ist immer gut Betrieb, weil immer jemand da ist. Also läuft‘s rein technisch immer gleich dahin.
Heißt das, dass ein Hamburger in Passau rauskommen kann? Das kann doch rein sprachlich schwierig werden, oder?
Werner: Es gibt regionalisierte Anrufe, das sind die aus den Telekom-Netzen – und alle übrigen sind nicht regionalisierte. Bei denen ist es durchaus möglich, dass sie überall verteilt werden. Das ist ein großes Ärgernis bei der TS, weil diese Anbieter nicht bereit sind, sich regionalisieren zu lassen.
Dölzer: Wir haben viele Anrufer aus Ostdeutschland.
Gibt es "Weihnachts-Anrufe"?
Dölzer: Das fängt jetzt allmählich an. Jetzt hatte ich eine Frau, bei der beginnt jetzt die Furcht vor dem Heiligen Abend: Bleibe ich allein? Werde ich von der Tochter eingeladen? Und und und...
Können Anrufe zurückverfolgt werden?
Werner: Die Anonymität ist auf jeden Fall gegeben. Wenn ein problematischer Fall auftritt, wenn zum Beispiel eine Straftat angekündigt würde oder dergleichen, dann ist es möglich, das zurück zu verfolgen – aber dieser Prozess dauert 24 Stunden.
Was ist mit den Telefonrechnungen der Anrufer, erscheint die Nummer der TS dort?
Werner: Nein, sie erscheint nicht bei der Abrechnung. Also auch der Ehepartner etwa weiß nicht, ob jemand bei uns angerufen hat. Unsere Nummer ist gebührenfrei und hinterlässt keine Datenspur im Einzelverbindungsnachweis der Telefonrechnung.
Auch ein Ratschlag ist Schlag?
Werner: Es geht nicht um Ratschläge. Natürlich kann ein solcher auch mal hilfreich sein. Ich erinnere mich an einen Fall, als eine depressive Frau angerufen hat und dann die Telefonseelsorgerin – eine sehr bodenständige Frau – zu ihr nach einer Weile sagte: "Jetzt legen sie den Telefonhörer zur Seite, gehen in die Küche und machen sich zwei Marmeladenbroten. Die essen sie und dann reden wir weiter."
Hat sie den Rat befolgt?
Werner: Sie hat das getan und kam wieder und war ganz anders drauf. Unsere Mitarbeiterin hat einfach gehört, was die Frau jetzt braucht. Das war ein Ratschlag, in dem Moment genau richtig. Grundsätzlich geht es aber nicht darum, die Leute von mir fernzuhalten, weil genau das bewirkt so ein Rat ja oft: "Jetzt tu doch mal das und das...." mit dem Hintergedanken "dann bin ich dich los". Dafür werden unsere Leute ja gut ausgebildet in Gesprächsführung, um zu wissen, was das mit mir macht. Wenn Themen angeschnitten werden, die ich lieber von mir fernhalten würde, dann folgen meistens Ratschläge. Ansonsten hör ich zu.
Reicht oft dieses Zuhören?
Werner: Bei einem ganzen Schwung von Leuten wird das reichen, die wollen gar nicht mehr. Sie wollen jemandem erzählen, was sie alles auf dem Herzen haben. Da helfen Interventionen gar nichts. Es gibt die Dauerredner, wo sie tatsächlich nur zuhören. Denen sagt man: "Sie wollen nur reden, das ist okay, dafür sind wir da. Dazu haben wir jetzt 20 Minuten Zeit und dann werde ich Sie an diese Zeit erinnern."
Und das akzeptieren die Leute?
Werner: Durchaus nicht alle. Es gibt eine Reihe wiederholter Anrufer, da muss man Grenzen setzen.
...weil sie blockieren ja die anderen in der Warteschleife?
Werner: Natürlich. Da werden unsere Leute aber auch geschult drin.
Wie lange sind Ihre Mitarbeiter so im Schnitt dabei?
Werner: Wir haben jetzt einen verabschiedet, der war 25 Jahre lang dabei. Der Schnitt dürfte so bei zehn Jahren liegen. Aber wir bilden ja jedes Jahr neu aus. Auch heuer haben sich wieder zehn auf den Weg gemacht. Sie machen ihre Ausbildung von Anfang Oktober bis Ende Juli, danach gibt es im zweiwöchigen Rhythmus eine Supervision. Da bleibt keiner mit seinen Erfahrungen auf der Strecke. Es gibt auch immer einen Hintergrunddienst: Frau Dölzer, Herrn Feigl (Josef Feigl, Anm. d. Red.) und mich. Das heißt, wenn die Mitarbeiter mal was Belastendes haben, dann können sie uns immer erreichen.
Was geht einem nahe?
Werner: Einzelne Kontakte mit harten persönlichen Schicksalen. Das Wichtigste am Anfang eines Gesprächs ist ja immer, dass ich eine Beziehung aufbaue. Und wenn die da ist, dann ist auch die Betroffenheit da. Ich kann nicht nur mit dem Kopf zuhören. Zuhören geht übers Herz – "in meinem Herzen Raum schaffen für den anderen". Da hab’ ich eine Mutter dran, die Angst hat um ihre Tochter, weil sie sich auf den scheinbar falschen Mann eingelassen hat. Da erlebe ich die eigene Hilflosigkeit, ich kann ihr ja das nicht wegnehmen. Wir können das zusammen anschauen, welche Aspekte sie noch nicht bedacht hat oder wie sie vielleicht anders mit ihrer Tochter umgehen kann – aber wenn die dann in ihrer Betroffenheit bleiben, das geht einem dann schon nahe.
Spürt man das, dass den Leuten klar ist, dass der andere am Telefon einem ja nicht lebensecht helfen kann?
Werner: Wenn sich jetzt was entwickelt und ich merke, das ist etwas für die Eheberatung, dann vermittle ich das eben. Und das können wir drei auch.
Persönliche Lebensberatung?
Dölzer: Ja, Pater Werner, Josef Feigl und ich, wir drei Hauptamtlichen, wir müssen ja nicht anonym bleiben und können persönliche Beratung anbieten.
Wie sieht die Anrufer-Verteilung Frau/Mann aus?
Dölzer: Mehr Frauen. Die Tendenz bei den jüngeren Jahrgängen geht aber dazu, dass dort der Anteil der Männer steigt.
Ist Einsamkeit der häufigste Grund der Anrufe?
Werner: Die Telefonseelsorge ist für ganz viele Menschen die einzige Möglichkeit, bei der sie aus ihrer Isolation rausgehen.
Dölzer: Das hören wir so oft "Sie sind heute der Erste, mit dem ich rede". Einsamkeit und Isolation sind große Themen.
Werner: ...und das in einer Gesellschaft, in der die Kommunikationsmittel immer zahlreicher und schneller werden. Derart einsame Menschen haben auch keine Mittel der Konfliktlösung. Beim kleinsten Konflikt brechen sie sofort den Kontakt zu dem Betroffenen ab. Und wenn ich das ein paar Mal mache, bin ich schnell allein. Dann sind alle anderen schlecht und dann kommt das Selbstmitleid und dann geht gar nichts mehr.
Das Gespräch führte Franz Danninger.
VITA
Gabi Dölzer wurde 1957 in Passau geboren und wuchs teils in Schalding r.d.D., teils in der Altstadt auf. Nach dem Besuch der Altstadtschule und von Niedernburg führte sie ihr beruflicher Weg über ein Praktikum ins Klinikum und mündete 1975 in der Ausbildung zur Erzieherin in St. Nikola bei den Deutschorden Schwestern. Sie studierte Sozialpädagogik in Landshut. In dieser Zeit lernte sie über einen Gebetskreis bei den Maristen in Passau den damaligen Leiter der Telefonseelsorge, P. Clemens Keine, kennen: "Als ich 1983 auf der Suche nach einem Praktikum war, holte mich P. Clemens wieder nach Passau an die Stelle." Sie entdeckt ihre "besondere Freude an dieser besonderen Arbeit". So schrieb sie ihre Diplomarbeit 1985 zum Thema "Telefonseelsorge – ihre Chancen und Grenzen". 1987 wurde Dölzer fest angestellt: "Das verdanke ich neben P. Kleine besonders Bischof Franz Xaver Eder, der sich damals für die Telefonseelsorge sehr einsetzte. So arbeite ich nun seit fast 30 Jahre an dieser Stelle, zusammen mit meinen Kollegen und genau genommen immer wieder mit der Freude von damals."
Pater Ludger Werner, Maristenpater, wurde 1958 in Köln als sechstes von acht Kindern geboren. Nach dem Abitur und Wehrdienst war er zunächst als Postzusteller tätig. Durch P. Clemens Kleine nahm er Kontakt zu den Maristen auf. 1981 fing er das Studium der katholischen Theologie in Passau an, unterbrochen durch das Noviziat in Dublin/Irland. 1986 machte er Diplom und legte die Ewige Profess ab. Während der Studienjahre arbeitete er ehrenamtlich in der Telefonseelsorge. 1988 wurde er von Bischof Franz Xaver Eder in Passau zum Priester geweiht. 1988 bis 1994 war er Kaplan, Schul- und Krankenhausseelsorger im Pfarrverband Fürstenzell. 1995 bis 2010 war er Leiter des ordenseigenen Bildungshauses in Ahmsen/Emsland. Seit 25 Jahren engagiert er sich in der Marriage Encounter Bewegung. Seit Oktober 2010 ist er Mitglied in der neu zusammengesetzten Maristengemeinschaft in der Heiliggeistgasse in Passau und Leiter der Telefonseelsorge Passau.
M2: Gabi Dölzer und Pater Ludger Werner vom Führungsteam der Einrichtung
M3: Didaktische Impulse
1. Wortpyramide
Zum Thema "Telefonseelsorge" wird ein strukturierter Text verfasst: Die oberste Zeile wird aus einem Wort gebildet, die nächste aus zwei Wörtern, die dritte aus drei usw. Es entsteht visuell die Form einer Pyramide.
Beispiel:
Telefonseelsorge
Passauer Telefonengel
Haben offenes Ohr
für die Probleme der Menschen
2. ABC zum Thema HELFEN
Entwirf ein Akrostichon zum Thema "Helfen"!
H...
E...
L...
F...
E...
N...