Die Tafel
Thema: Armenhilfe, Ehrenamt, Nächstenhilfe
M1: PNP, 23.02.2010, Nr. 44, S. 3
Wenn das Geld fürs Essen nicht mehr reicht
Die Zahl der Menschen, die darauf angewiesen sind, ihre Lebensmittel bei einer der vielen Tafeln abzuholen, wächst stetig. Auch das ein Zeichen wachsender Armut in unserer Gesellschaft.
Von Kerstin Straubinger
Eine ältere Frau kämpft sich die Straße entlang. Den grauen Mantel hat sie bis unters Kinn gezogen. Am Eck sieht sie sich verstohlen um, huscht die grauen Stufen hoch und verschwindet im grünen Gebäude, Große Messergasse 1. Nach und nach folgen ihr andere, viele mit einem Trolley. Es ist Donnerstagnachmittag in Passau. Hinter der Doppeltür verteilen ehrenamtliche Mitarbeiter der „Passauer Tafel e.V.“ Lebensmittel an Bedürftige.
Michael Sturm*, Mitte 30, ist einer von insgesamt 135 Menschen, die heute zur Ausgabe kommen. Er ist früh da, muss noch warten, bis seine Gruppe dran ist. Um die Verteilung zu vereinfachen, sind die Berechtigten in vier Gruppen aufgeteilt, die zu unterschiedlichen Zeiten kommen. Damit jede Gruppe einmal als Erste zugreifen darf, wird wöchentlich gewechselt.
Essen und Getränke bekommt nur, wer einen Berechtigungsausweis hat. Michael Sturms Ausweis ist derzeit grün. Das heißt, es geht ihm besser als Menschen mit gelbem oder orangefarbenem Ausweis. Darunter fallen Alleinerziehende, Rentner oder Menschen, die aus geistigen oder körperlichen Gründen nicht arbeiten können. Sie sind besonders arm. Einmal im Jahr werden die finanziellen Verhältnisse überprüft, dann wechseln auch die Ausweis-Farben.
Auch wenn Michael Sturm zur „grünen Gruppe“ gehört - gut geht es ihm nicht. Er ist arbeitslos, bekommt Harz IV. „Das Geld reicht hinten und vorne nicht“, sagt der alleinstehende Mann, „aber ich komme irgendwie durch.“ Wenn es ganz eng wird, helfen ihm Schwester und Bruder aus, gesteht er. Auf die kostenlosen Lebensmittel der Tafel ist er angewiesen: „Ohne komme ich nicht über die Runden.“ Seit vier Monaten ist er jeden Donnerstag hier und sieht dabei immer die gleichen Gesichter. Man kennt sich. Viele Harz-IV-Empfänger sind da, vor allem alleinerziehende Mütter, Rentner, auch einige Studenten. Und von Mal zu Mal werden es mehr.
Wer keinen Euro hat, lässt anschreiben
Wer neu ist, bekommt von den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen um Vereinsvorsitzende Reinhilde Keilbach ein Merkblatt mit den wichtigsten Infos zur Tafel, und er muss sein Einkommen offen legen. 790 Euro netto pro Monat markieren die Armutsgrenze. Einige liegen weit darunter und können nicht einmal regelmäßig die Busfahrt zur Tafel bezahlen, weiß Reinhilde Keilbach. Wie die meisten anderen Tafeln auch verlangt der Verein einen symbolischen Euro, egal wie viele Lebensmittel mitgenommen werden. Damit deckt die Tafel Unkosten, kauft zum Beispiel Verpackungsmaterial. „Wenn sie den Euro nicht haben, lassen sie ihn anschreiben und bezahlen beim nächsten Mal“, erzählt die Vorsitzende. „Dass wir ihnen den Euro erlassen, wollen sie nicht. Sie wollen das Gefühl, wie im Geschäft bezahlt zu haben.“
Keilbach ist Gründungsmitglied des Vereins, der heuer sein Zehnjähriges feiert. Immer abwechselnd mit ihrer Stellvertreterin leitet sie am Donnerstag die Vorbereitungs- und Ausgabearbeiten. Tags zuvor holen Mitarbeiter die Lebensmittelspenden bei den Geschäften ab. Die Supermärkte sortieren aus, was sie nicht mehr verkaufen können: Produkte, die das Mindesthaltbarkeitsdatum fast oder schon erreicht haben, falsch etikettierte Ware oder saisonale Produkte.
In großen Kisten kommen die Waren in den Räumen der Tafel an. Joghurt liegt neben Schmelzkäse, Gummibärchen bei den Chips. Den ganzen Vormittag sind die Ehrenamtler mit dem Sortieren und Einräumen beschäftigt. Verdorbenes wird aussortiert, große Mengen werden portioniert, damit es genug für alle gibt.
Aus der Großpackung nimmt Bentje Luttermann immer zwei Würstchen und verschließt sie in eine Tüte. Die Studentin ist seit Herbst im Team. „Ich wohne gleich um die Ecke und wollte was Soziales machen. Ich hatte Glück, dass der Verein gerade eine Aushilfe gesucht hat.“ Menschen, die sich engagieren wollen, findet Reinhilde Keilbach viele. Denn die Arbeit bietet doppelten Anreiz: „Man versorgt Bedürftige und verhindert, dass Lebensmittel, die noch gut sind, einfach weggeworfen werden.“
Die Stimmung während der Arbeit ist locker, im emsigen Gewusel füllen zehn Frauen in zwei Stunden alle Regale. Wer herkommt, kann selbst entscheiden, was er mitnehmen will. Fünf Frauen geben nachmittags die Waren aus. Keilbach: „Wir schauen, dass keiner mit leeren Händen nach Hause geht. Wenn wir mehr haben, geben wir mehr aus.“ Damit es gerecht zugeht, wird ausgelost, wer wann Lebensmittel aussuchen darf.
Die Nummer 16 hat heute Nathalie Wimmer* in ihrer gelben Gruppe erwischt. Sie ist alleinerziehend, der Vater zahlt keinen Unterhalt. „Man spart durch die Tafel viel, davon kann man den Kindern dann was gönnen, Klamotten oder Schuhe“, sagt die dreifache Mutter. Zu kommen kostete sie dennoch viel Überwindung.
Die wenigsten sind freiwillig hier
Doch es gibt auch andere. Dimitri Below* trägt zufrieden die gefüllte Tasche vor sich her, unterhält sich vor der Tür mit einem biertrinkenden jungen Landsmann. Rein geht der junge Mann nicht - der Ordnungsdienst der Tafel würde ihn mit dem Alkohol sofort wieder in die Kälte schicken. Below hält die Hilfe für selbstverständlich. Er spricht so undeutlich, dass er kaum zu verstehen ist. „Drogen, Alkohol, Zigaretten: Viele wollen ihren Frust überdecken“, resümiert Johann Meier*. Im Warteraum sitzen alle zusammen, freuen sich über ein paar nette Worte der ehrenamtlichen Mitarbeiter. Dennoch, die Stimmung ist gedrückt, die wenigsten sind freiwillig hier.
Thomas Aigner* allerdings schon, er holt die Lebensmittel für ein befreundetes Ehepaar, sagt er. Die Bekannten waren Geschäftsleute, um die 50, mussten ihre Arbeit aufgeben. „Und dann beginnt der soziale Abstieg“, sagt Aigner.
Michael Sturm hat versucht, dagegen anzukämpfen, 300 Bewerbungen hat er geschrieben. Jetzt hat er kapituliert: „Was kann man auch schon machen?“ Um Geld zu sparen ist er von München nach Passau gezogen. Die Tafel gehört heute zu seinem Leben. Schlechtes Wetter hält ihn nicht davon ab zu kommen - das kann er sich nicht leisten.
"Es brauchen so viele unsere Hilfe“
22 Tafeln gibt es im PNP-Verbreitungsgebiet, sie sind sich einig: Von Woche zu Woche kommen mehr Bedürftige zu den Lebensmittelausgaben. Diesen Trend bestätigt Reiner Haupka, Ländervertreter Bayern Süd des Bundesverbands Deutsche Tafel e.V., unter dem die regionalen Tafeln zusammengefasst sind. „Wir haben derzeit einen starken Zulauf. 2008 gab es in Deutschland 0,95 Millionen Bedürftige, heuer sind es 1,1 Millionen.“ Die Politik könne und wolle offenbar nicht helfen, sieht sich der Ländervertreter durch das Harz-IV-Urteil bestärkt. „Für das, was die Tafeln leisten, wären die Politiker zuständig, aber die Leute haben heute Hunger und nicht erst in fünf Jahren“, kritisiert er das zögerliche Handeln der Entscheidungsträger. Der Bundesverband vertritt die Interessen der Tafeln nach außen und arbeitet unter anderem mit den Gesundheitsbehörden zusammen. Die regionalen Initiativen haben dabei freie Hand. Sie stellen die Berechtigungsausweise aus, legen fest, ob sie Essenspäckchen ausgeben oder die Bedürftigen über ihren Bedarf selber entscheiden lassen, und sie legen fest, wann sie öffnen. Alle Tafeln bekommen von Geschäften Lebensmittelspenden. Das Essen und die Getränke sind oft nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum und werden von den Supermärkten ohnehin aussortiert. Die Tafeln holen die Spenden ab und geben sie weiter. Dafür verlangen sie meist einen symbolischen Euro. Dieses Geld wird zum Beispiel für Verpackungsmaterial genutzt. Um einen Berechtigungsausweis zu bekommen, muss das geringe Einkommen nachgewiesen werden. Pro Haushalt gibt es einen Ausweis, die Zahl der Familienmitglieder ist darauf vermerkt. Jede Tafel ist für einen bestimmten räumlichen Bereich zuständig.
Das besondere an der Arnstorfer Tafel ist, dass sie mobil ist. In den Landkreisen Dingolfing-Landau und Rottal-Inn sowie inzwischen auch jenseits der deutsch-österreichischen Grenze in Braunau werden an neun Ausgabestellen Lebensmittel an 1300 Bedürftige verteilt. 95 ehrenamtliche Arbeiter und ein Zivildienstleistender sind dafür im Einsatz. 2002 gründete die Hans-Lindner-Stiftung diese Initiative nach Vorbild der Passauer Tafel. Am Anfang wurden 300 Menschen versorgt. In den vergangenen Monaten sei der Zulauf enorm gewesen, erklärt Elke Steiger. Anders als ihre Kolleginnen kann sie aber auch eine steigende Zahl an Lebensmittelspenden vorweisen.
Die Spenden sind bei der Burghausener Tafel nicht mehr geworden, aber die Zahl der Hausgemeinschaften mit Berechtigungsausweis. Aus 80 wurden im vergangenen Jahr 120, erklärt Alfred Danninger: „Das hat uns ganz schön überrascht, es wurden schleichend immer mehr.“ Etwa 350 Menschen werden durch die Tafel versorgt, die es seit 2006 gibt. Derzeit kümmern sich 100 Mitarbeiter darum, dass jeweils donnerstags Lebensmittel eingesammelt und verteilt werden können. Besonders erhöht habe sich die Zahl junger Familien, sagt Danninger. „Die Männer waren bei Personaldienstleistern angestellt und waren die ersten, die wegen der Krise ihren Job verloren haben.“
Dass in Deggendorf zwei Geschäfte schließen mussten, die bis dahin Lebensmittel spendeten, hat die 2001 ins Leben gerufene Tafel deutlich zu spüren bekommen, sagt Monika Huber. Die von der Stadt Deggendorf getragene Initiative hat 500 Personen zu versorgen, 30 Ehrenamtler helfen dabei. Seit es Harz IV gibt, werden es stetig mehr. Die Konsequenz für Huber: „Ich habe weniger Spielraum.“ Um einen Berechtigungsausweis zu bekommen, muss der Antragsteller nachweisen, dass er unter der Armutsgrenze verdient, also weniger als 790 Euro netto.
An der Armutsgrenze orientiert sich auch die Hauzenberger Tafel, wenn sie Berechtigungsausweise ausstellt. Rund 230 Personen dürfen derzeit jeden Donnerstag Lebensmittel holen. 46 Bürger helfen. Seit 2007 besteht die Tafel, getragen vom Ortsverband der Caritas. „Das Spendenaufkommen ist enorm“, freut sich Sepp Fisch.
Mal bessere, mal schlechtere Wochen gibt es bei den Lebensmittelspenden in Passau. 60 ehrenamtliche Mitarbeiter versorgen rund 800 Bedürftige. 240 Haushalte haben derzeit einen Berechtigungsausweis. Träger ist der Verein „Passauer Tafel e.V.“, ein Projekt des Inner Wheel Clubs Passau. Die Tafel versorgt außerdem das Passauer Frauenhaus mit Lebensmitteln sowie Solwodi, einen Verein, der weiblichen Opfern von Menschenhandel hilft. Bleibt etwas übrig und hält sich nicht bis zur nächsten Woche, verarbeiten die Klöster Niedernburg und St. Nikola die Lebensmittel für ihre Speisung von Obdachlosen. Die Passauer Tafel gibt es seit 2000.
Die 2005 gegründete Regener Tafel gibt dreimal pro Woche Lebensmittel aus, zweimal in Zwiesel. Finanziert wird die Einrichtung durch den Verein „Familien helfen Familien e.V.“ und die Pfarrei St. Michael. 35 ehrenamtliche Mitarbeiter helfen zusammen mit zwei Ein-Euro-Jobbern. 330 Personen sind in Regen berechtigt, Lebensmittel zu holen. Regelmäßig versorgt werden 170 Personen, dazu 140 in Zwiesel.
Die Tafel in Straubing versorgt 1370 Personen. Getragen wird sie von den Maltesern. Von den 28 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die donnerstags Lebensmittel austeilen, gehörten viele selbst zu den Bedürftigen, erzählt Helga Schiller. Begonnen hat man vor zehn Jahren damit, 250 in der Regel ältere Menschen zu versorgen. „Heute gibt es so viele Menschen, die unsere Hilfe definitiv brauchen“, erklärt Schiller ihre Motivation.
Bundesverbands-Vertreter Reiner Haupka hat vor allem eine Vision: „Unser schönster Tag ist doch, wenn es keine Tafeln mehr geben muss.“ Alfred Danninger von der Burghausener Tafel befürchtet allerdings, dass es bald wirklich soweit sein könnte. Allerdings nicht, weil es keine Abnehmer mehr gibt. „Die Supermärkte können durch ausgeklügelte Warenerfassungs- und Bestellsysteme inzwischen immer genauer kalkulieren.“ Damit bleibt immer weniger übrig, was nicht verkauft werden kann. Und damit immer weniger für die Tafel. - kst
Geld- und Sachspenden nehmen alle örtlichen Tafeln entgegen. Eine Übersicht gibt es im Internet unter www.tafel.de.
M2: Bilder vom Verein "Passauer Tafel e.V."
M3: PNP, 13.12.2021, Nr. 289, S. 19
"Wir schicken niemanden weg"
Trotz strenger Corona-Regeln: In der Zeit vor Weihnachten ist der Andrang in der Passauer Tafel besonders groß
von Korbinian Huber
Schon vor der Öffnung am Donnerstag um 14 Uhr hat sich vor dem Caritasgebäude an der Oberen Donaulände eine lange Schlange gebildet. Der Andrang ist groß, besonders vor Weihnachten. Es ist die Zeit des Jahres, in der die meisten Menschen in Deutschland vor allem mit einem kulinarischen Überangebot kämpfen – ob Plätzchen, Stollen oder Braten, die Tische sind meist reichlich gedeckt. Die Menge vor der Passauer Tafel zeigt, dass es auch anders geht. Wegen Corona warten die Menschen draußen in der Kälte, nur dort ist der nötige Abstand zu halten. Sogar einen Aufnahmestopp für neue Klienten hat Leiterin Ute Senff bis Neujahr verhängen müssen. Vor Weihnachten sei besonders viel los, sagt sie.
Senff: "Die Leute akzeptieren die Regeln."
Die Menschen vor dem Eingang stehen in einer Reihe. Bei ihrer Ankunft haben sie eine Nummer gezogen. Sie regelt, wer zuerst rein darf und damit verbunden: wer die besten Lebensmittel erhält. "Die Reihenfolge auszulosen ist am fairsten", sagt Ute Senff. Das Prinzip Ellenbogen will sie vermeiden.
Schon im Vorhinein wurden die Klienten in vier Gruppen aufgeteilt. Rot und Gelb sind heute dran, Blau und Grün erst wieder in einer Woche. Wegen der aktuellen Lage hat sich die Leitung entschlossen, den Andrang zu entzerren und die Menschen nur noch alle zwei Wochen zu bedienen.
Das System wirkt ausgeklügelt. Kein Wunder, schließlich kann Leiterin Senff auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. "Ich mache die Arbeit über 20 Jahre." Sie kenne fast alle Klienten, "90 Prozent mit Namen." Bei der Ausgabe trägt Senff Maske und Winterjacke, wegen des vielen Lüftens und der offenen Türen ist es kühl in den Ausgabestellen im Caritas-Haus.
Kurz nach der Öffnung durchbricht ein Mann die Reihenfolge – jedoch nicht laut oder aggressiv. Er versteht das Ausgabesystem nicht so recht und möchte fragen, ob und wann er denn an der Reihe ist. Der Mann ist weder registriert noch aus Passau. Eigentlich müsste er wieder gehen. Doch: "Wir schicken niemanden weg", sagt Senff. Diese Kluft zwischen einer Vorschrift und deren Umsetzung wird sich an diesem Nachmittag noch öfter auftun.
Ein Problem gibt es jedoch mit dem Mann, der nun ganz vorne in der Reihe steht. Er spricht weder Deutsch noch Englisch, nur auf kurdisch kann er sich verständigen. Ein junges Mädchen, sie sagt sie ist zwölf Jahre alt, übersetzt. In freundlichem, aber bestimmten Ton gibt Senff ihm einen Anmeldezettel und bittet ihn an seinen zugelosten Platz zurück. Später wird er, wie alle anderen, einen Beutel mit Grundnahrungsmitteln bekommen. Darin unter anderem: Nudeln, Reis, Kekse, deren Verfallsdatum noch im Rahmen ist und was Supermärkte sonst so spenden. Ohne Murren geht der Mann zurück.
Generell ist die Stimmung entspannt, auch wenn es draußen kalt und die Wartezeit lang ist. Die Menschen unterhalten sich. Die Sprachbarriere, die zwischen den mannigfaltigen Kulturen – vom mittleren Osten über Afrika bis Osteuropa – besteht, hält die Wartenden nicht davon ab. Und auch mit dem Personal gibt es kaum Verständigungsprobleme. Ute Senff spricht selbst Russisch und Tschechisch. Damit deckt sie schon die Sprachen vieler Klienten ab. Für alle anderen Fälle übersetzen meist Freiwillige aus den Reihen der Kundschaft. "Irgendjemand findet sich immer", sagt Senff.
Sie ist froh, dass die Tafel öffnen darf. Das war im vergangen Winter anders, zu der Zeit mussten die Tafeln in Deutschland wegen des Lockdowns schließen. Und auch heuer ist die Lage angespannt, doch die Türen des Caritashauses bleiben offen – vorerst. Der Betrieb laufe "halbwegs normal", sagt Senff, doch Einschränkungen gibt es trotzdem: Generell gilt 3G und Maskenpflicht. Die Nachweise werden vor dem Eintritt kontrolliert. Drinnen ist alles entzerrt. "Das läuft hervorragend. Die Leute akzeptieren die Regeln", sagt Senff. Das Gros ist geimpft – "erstaunlicherweise", merkt sie an. Menschen ohne Impf- oder Testnachweis bedienen die Helfer in Ausnahmefällen draußen, separat von den übrigen Kunden.
Einkauf nur mit Berechtigungsschein
Die Ausgabestelle, die vor der Pandemie in einem Zimmer gebündelt war, ist nun auf mehrere Räume verteilt. Zuerst gibt es Obst und Gemüse, dann den Beutel mit der Grundversorgung und Frischeprodukte wie Käse und Joghurt. Das Konzept soll bis zum 23. Dezember, dem letzten Ausgabetag in diesem Jahr, so weiterlaufen. Außer etwas ändert sich und es kommt ein härterer Lockdown, sagt Senff.
Das befürchten wohl auch viele ihrer Klienten. Ein Stammkunde ist Robert Frankenberger. Wie alle anderen wartet der 58-Jährige auf seinen Einlass. Unter dem Kinn hängt lose eine abgenutzte FFP2-Maske, in der Hand hält er einen Berechtigungsschein, seine Reihennummer und eine Euromünze. So viel kostet der Einkauf. Es ist ein symbolischer Preis.
Einen Berechtigungsschein erhält man, wenn man auf Grundsicherung angewiesen ist. Sie soll Bedürftigen, die ihren Lebensunterhalt nicht ohne Hilfe bestreiten können, mit dem Grundlegendsten ausstatten. Dazu zählen etwa Lebensmittel, Unterkunft, Heizung, Pflegekosten.
"Die Tafel ist super", ruft Frankenberger. Seit etwa sechs Jahren komme er nun schon regelmäßig her – jede Woche. Naja, zumindest alle 14 Tage seit der Pandemie. Er sei doppelt geimpft und werde bald geboostert. Die Corona-Regeln seien sinnvoll und würden gut eingehalten, sagt er.
Das findet auch Roland Dziallas. Er ist ehrenamtlicher Helfer in der Passauer Tafel. Mit seiner medizinischen Maske sticht er heraus, die meisten tragen FFP2. Zwar müsse er die Kunden gelegentlich daran erinnern in der Schlage zu bleiben, doch ansonsten fühle er sich sicher vor dem Virus. "Die ganze Zeit die Maske tragen ist nicht angenehm, aber es hilft ja nichts", sagt er. Seit drei Jahren engagiert sich der Rentner nun schon ehrenamtlich. "Ich will für die Allgemeinheit etwas tun." Seit die Inzidenzen gestiegen sind bemerke er, dass auch die Leute angespannter werden. Doch nach einer kurzen Ermahnung herrsche meist wieder Frieden.
Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich
Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer sei gut. Besonders erfreulich findet Senff, dass viele Studenten dabei sind. "Die Bereitschaft unter den Jungen ist groß", sagt sie. Alle von ihnen seien geimpft, einige sogar geboostert.
Eine Helferin ist Helga Heinen. Mit Schürze und Plastikhandschuhen steht sie in ihrer Ausgabe, in der kistenweise Obst und Gemüse bereit stehen. Sie arbeitet seit 15 Jahren bei der Tafel. Wie ihre Chefin kennt sie mittlerweile fast alle Kunden. Da bemerke man irgendwann gewisse Muster, erzählt sie. Damen aus Russland wollen oft Rote Rüben, Menschen aus einem arabischen Land hätten wieder andere Vorlieben. Sie engagiert sich, weil sie die Lebensmittel nicht verkommen lassen will und um den Menschen zu helfen. Es sei wichtig die Abläufe zu kennen, um planen zu können. Denn: Heinen und ihre Kollegin Elisabeth Bubica müssen die Lebensmittel einteilen. Schließlich soll es auch abends noch etwas geben. Besonders schwer sei es in den engen Räumen, den nötigen Abstand zu halten, doch wegen der getroffenen Maßnahmen, sei das möglich, sagt Heinen.
Die Zahl der Bedürftigen ist in der Corona-Krise leicht gestiegen, erfährt die PNP von Leiterin Senff. 360 Klienten sind es derzeit, die regelmäßig die Tafel aufsuchen. Hinein dürfen aber nur Erwachsene. Kinder sind nicht zugelassen. Der Grund: Die Caritas will die Kleinen schützen, aber auch das Infektionsrisiko verringern – obwohl es auch hier zu Ausnahmen kommt. Immer wieder huschen Kinder an diesem Nachmittag durch die Reihe der Wartenden und toben im Eingangsbereich herum.
Leer ausgehen sollen sie jedoch nicht: Ute Senff und ihr Team geben Nikolaus-Tüten mit verschiedenen Süßigkeiten und einem Adventskalender aus. Und auch zu Weihnachten haben sich die Helfer etwas einfallen lassen. Dann gibt es dann Päckchen mit Kaffee, Tee, Kakao. Schließlich sollen alle ein schönes Fest erleben.
M4: Bild von der Warteschlange in Corona-Zeiten vor der Passauer Tafel
M5: Bild von Ute Senff und Alois Daller
M6: MuW, 03.08.2022
„Küche ohne Dach“ bei der Bahnhofsmission Passau: Sonntagabend geben Studentinnen selbstgemachtes Essen aus
Passauer Studentinnen haben eine Initiative gestartet. Sie kochen sonntags für Wohnungslose. „Küche ohne Dach“ nennen Stefanie Simmert, Ineke Wetzel und Lina El Shabrawy ihren Dienst in der Passauer Bahnhofsmission. Von 15.00 bis 16.00 Uhr geben sie ihre frisch zubereiteten Gerichte über das Fenster der Bahnhofsmission aus.
Die Bahnhofsmission ist ein wichtiger Sozialdienst für Menschen in Not und Anlaufstelle für hilfsbedürftige Personen. Sie erhalten dort von Montag bis Freitag (08.00 bis 18.00 Uhr) und samstags von 08.00 bis 13.00 Uhr Hilfe und Unterstützung. Ab jetzt zusätzlich eine Mahlzeit am Sonntagabend von 15.00 bis 16.00 Uhr.
Für den Einkauf ihrer Nahrungsmittel bitten die Studentinnen um Spenden auf das Konto der Bahnhofsmission:
IBAN: DE 42 7509 0300 0004 3046 16
Liga Bank
Kennwort: „Küche ohne Dach“
M7: Bild zur "Küche ohne Dach"
M8: Didaktische Impulse
- Erkundigt euch, ob es in eurer Umgebung auch eine „Tafel“ gibt!
- Informiert euch über das Tafel-Projekt. (www.tafel.de)
- Interviewt die ehrenamtlichen Mitarbeiter, z.B. mit folgenden Fragen: „Was motiviert Sie an der Mitarbeit an der Tafel“- „Welchen Eindruck habt ihr von den Menschen, die sich Lebensmittel bei der Tafel abholen?“
- Der FDP-Chef Guido Westerwelle hat gegen die Erhöhung von Bezügen für die Hartz-IV-Empfänger polemisiert: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“. – Diskutiert mit Hilfe der Informationen über die Menschen, die sich bei einer Tafel Lebensmittel abholen, über die Berechtigung dieser Aussage!
- Was für Motive könnten hinter dem Engagement der Studentinnen stecken? Weshalb nutzen Sie ihre Freizeit, um sich ehrenamtlich zu engagieren?
M9: Ausstellungstafel
Die Ausstellungstafel entstammt der Wanderausstellung "Tolle Typen heute", die ausgeliehen werden kann. Weitere Informationen siehe Wanderausstellung