Chiriches, Andrei
Thema: Behinderung, Krankheit, Lebensbewältigung
M1: PNP, 09.11.2009, Nr. 260, S.12
Tapferer Andrei kämpft sich ins Leben zurück
Junger Rumäne sitzt seit einem schrecklichen Unfall im Rollstuhl - Am Maristengymnasium will er nun das Abitur machen
Von Regina Ehm-Klier
Ruhstorf / Fürstenzell. Nur sein Verstand ist noch so, wie er immer war. Andrei ist hellwach und blitzgescheit. Er ist 19 Jahre alt und gelähmt vom Hals abwärts. Er arbeitet gerade daran, dass ihm seine Finger wieder gehorchen. Immerhin kann er die Arme bewegen. Doch seit einem Unfall ist nichts mehr so, wie es war. Andrei ist nicht mehr in Rumänien, nicht mehr in seinem katholischen Gymnasium am Schwarzen Meer, die Familie ging auseinander, um zusammenzuhalten. Andreis Mutter und seine Schwester Gabriela (25) kümmern sich um den jungen Mann im Rollstuhl. Vater und zwei Brüder sind in Italien, Geld verdienen. Alles nur, um Andrei zu helfen, „das ist für uns selbstverständlich“, sagt Gabriela, die ihr Studium Internationale Beziehungen in Wirtschaft beendet hatte. Sie spricht Englisch und Italienisch, hatte gerade den beruflichen Einstieg geschafft. Solidarität mit der Familie ist selbstverständlich, doch sie tut auch weh. Es ist Gabriela anzumerken.
Seit Monaten ist sie nur für ihren Bruder da, „er ist unser Kleinster“, sagt sie. Und sie erzählt, was er alles durchgemacht hat in den vergangenen Monaten, von schlechten Krankenhäusern, Operationen, Einsamkeit. Andrei selbst kann über vieles reden, mittlerweile sogar ganz gut in Deutsch, nicht aber über diesen Unfall, der sein Leben und seine Träume zerstörte. Andrei wollte Priester werden. Dieser Wunsch, seine ausgezeichneten Schulnoten und dazu ein bestandenes schweres Examen als Aufnahmeprüfung waren die Voraussetzung, um an einem hoch angesehenen katholischen Gymnasium am Schwarzen Meer aufgenommen zu werden. „Er muss ein ganz hervorragender Schüler gewesen sein“, weiß Dr. Roland Feucht, Direktor des Maristengymnasiums Fürstenzell (Lkr. Passau) aus Andreis Zeugnissen. Mit diesen Noten wären dem jungen Mann jedenfalls kaum Hürden im beruflichen Weg gestanden.
Doch dann passierte es: „Er ist mit dem Kopf aufgeschlagen“, erzählt Gabriela Chiriches, als Andrei gerade mit dem PNP-Fotografen im Schulhaus unterwegs ist, vom Schicksalstag. Andrei war ins flache Wasser des Schwarzen Meeres gefallen, brach sich die Halswirbel. Von einer Sekunde zur nächsten wird alles anders im Leben des damals 17-Jährigen. Und es beginnt ein Leidensweg. Der Schwerverletzte kommt in ein Krankenhaus in Constanta, nach Bukarest zweitgrößte Stadt des Landes und die nächste Stadt von Oituz, dem Dorf, in dem Familie Chiriches lebt. Die schweren Wirbelverletzungen können im dortigen Krankenhaus nicht behandelt werden, Andrei kommt nach Bukarest, Gabrielas dunkle Augen glänzen
vor Wut, wenn sie von den Zuständen dort erzählt: „In Rumänien ist die Krankenversorgung noch viel schlechter als in Afrika. Als wir hierher kamen, war das wie eine andere Welt - wirklich.“ Als Andrei dann endlich nach Regensburg zur Operation kam, war die Schwester an seiner Seite, daran hat sich seither nichts geändert. Die junge Frau versteht schon gut Deutsch, das Reden fällt ihr nach den wenigen Monaten indes schwer. Ihr Englisch hingegen ist einwandfrei. Doch die nächste Sorge plagt sie. Sie braucht Arbeit. „Wenn ich dem Landratsamt keinen Vertrag vorlege, darf ich nur ein halbes Jahr bleiben.“ Auch innerhalb der EU gelten Regeln. Die gestatten Andrei den Aufenthalt während seiner Schulzeit, ebenfalls der Mutter. Eine Schwester ist im Gesetz nicht vorgesehen. Als EU-Bürgerin darf sie in Deutschland aber arbeiten - und so bei ihrer Familie im Haus in Ruhstorf bleiben.
Unterstützung durch Kapfinger-Stiftung
Wenigstens ein großes Problem für die Chiriches wird kleiner - das Geld. Und dafür sorgte der findige Schulleiter Dr. Feucht, der mehr als seine Pflicht tut, damit der Junge eine Ausbildung bekommt. Zum Beispiel einen behindertengerechten Laptop. Dr. Feucht wandte sich an die Dr.-Hans-Kapfinger-Stiftung. Eine gute Idee. Denn Stiftungsratsvorsitzender Siegfried Reichenbach schrieb jetzt die erfreuliche Nachricht, dass die Stiftung von PNP-Gründer Dr. Hans Kapfinger Andrei ein Stipendium gewährt. Bis zum Ende seiner Schulzeit, das wird 2011 sein, bekommt er monatlich 200 Euro überwiesen. „Eine große Hilfe“, sagt auch Andrei dankbar - und auf Deutsch. Nur im Notfall wechselt er die Sprache - sein Englisch ist nahezu perfekt, sein Deutsch sehr gut, „dabei ist er erst seit Juli hier“, nötigt das selbst dem Schulleiter ordentlichen Respekt ab. Ebenso wie die Solidarität der Familie und der unbändige Wille des jungen Mannes, der so gar nicht mit seinem Schicksal hadert.
Denn das hat es auch gut mit ihm gemeint. So ist sein Arzt in der Reha-Klinik Passauer Wolf in Bad Griesbach, in dem Andrei nach den Operationen behandelt wurde, Elternbeirat des Maristengymnasiums. Er machte Schulleiter Feucht auf den jungen Mann aufmerksam. Und so kam es, dass Andrei wieder zur Schule gehen kann.
Schulkameraden helfen bei Barrieren
Ja, kann. Denn für Andrei ist der Unterricht alles andere als lästige Pflicht. Auf die Frage, was ihm denn hier am meisten Spaß mache, antwortet er „Das Lernen“ und fügt für den verdutzten Zuhörer ein „natürlich“ an. Weil Bildung in Rumänien eben nicht natürlich ist. Dass ihm Lernen Spaß macht, dafür ist der 19-Jährige selbst der beste Beweis. Er hat schon Freunde gefunden in der Schule. Einer hat ihm eine Vergrößerung für seinen „Joystick“, die Lenkung am elektrischen Rollstuhl, gebaut. „Der war zu klein für mich“, erklärt Andrei den Golfball über dem Hebel, der mit einem Schwein verziert ist, „stark wie Sau“, Andrei lacht verschmitzt und sein Schulleiter freut sich, dass der Zwölftklässler jeden Tag weniger Schützling und immer mehr Schüler wird. Freilich nie ein ganz normaler.
Das Maristengymnasium ist kein behindertengerechter Bau. „Man muss improvisieren“, sagt Dr. Feucht. So wurden bei der Stundenplanung eben die Kurse so gelegt, dass sie immer auf einer Ebene stattfinden. Und wenn das nicht geht - bei Fachräumen zum Beispiel - hat Andrei immer Mitschüler an seiner Seite, die ihn über den Nebeneingang in die Schule begleiten. Weshalb es der Schulleiter nicht nur von der menschlichen Seite, sondern auch von der pädagogischen überaus positiv findet, Andrei an der Schule zu haben: „Es schadet gar nicht, wenn die Schüler sehen, dass Gesundheit und Bildung keine Selbstverständlichkeit sind.“
Andrei besucht die K 12, seine Leistungskurse sind katholische Religion und Englisch. Nächstes Jahr will er Abitur machen, sein Schulleiter ist überzeugt, dass er das auch schafft. Wie es weitergeht? Andrei wird nachdenklich: „Ich muss mir etwas anderes suchen, ich wollte ja Pfarrer werden.“ „Vielleicht wird es ja doch etwas“, macht Schulleiter Feucht Mut. „Ja“, sagt Andrei, „ich hoffe es.“
M2: PNP, 11.08.2011, Nr. 184, S.3
Das zweite Leben eines Sturkopfs
von Marita Pletter
Ein Bade-Unfall zwang Andrei in den Rollstuhl. Gebrochen hat das den jungen Rumänen nicht. In zwei Jahren lernte er Deutsch, machte sein Abitur in Fürstenzell und freut sich jetzt auf das Studium in Passau.
Das Wohnzimmer ist hell und weit, an der Wand steht ein Sofa. "Wir haben hier keinen Tisch", sagt Gabriela. Fürsorglich, etwas unsicher, ob man das überhaupt erwähnen sollte, wendet sie den Kopf zu ihrem Bruder Andrei. Beide lächeln − so, als müsse sich entschuldigen, wer mehr Raum braucht. Aber das ist eben so, wenn man, wie Andrei, im Rollstuhl sitzt.
Zwei Monate nach seinem 18. Geburtstag, am 17. Juli 2008, ist dieser Unfall passiert, der sein Leben verändert hat, auch das seiner drei Geschwister und das seiner Eltern. Noch vor zwei Jahren hätte er nicht darüber sprechen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Doch jetzt muss er darüber reden.
Andrei hat einen starken Willen. Er, der rumänische Junge aus dem Dorf bei Bukarest, der Monate nach dem Unfall schwerstverletzt und vom Hals an abwärts gelähmt ins Regensburger Klinikum eingeliefert wurde, sprach damals kein Wort Deutsch. Heute hat er nicht nur die deutsche Sprache erlernt, versteht deren Nuancen grammatikalisch und inhaltlich differenziert auszudrücken; er, der Hochbegabte, hat sogar, nachdem er die beiden letzten Jahre in Fürstenzell die "Ich wäre tot, wenn ich geblieben wäre" Kollegstufe des Maristen- Gymnasiums besucht hat, im Frühsommer dort das Abitur gemacht. "Ich war so froh, so stolz, dass ich das geschafft hatte: das deutsche Abitur. Das war so ein wunderbarer Tag in meinem Leben", sagt er. Denn: "Ich bin ein – Sturkopf?" Andrei schmunzelt verlegen, fragend, ob er das Wort auch richtig verwendet hat.
Nicht nur ein Sturkopf hat er sein müssen, um alles das durchzustehen, was er mitgemacht hat. Auch ein Mensch, der das Leben liebt, so wie er es geliebt hat, bevor ihm "etwas Dummes" − so nennt er das − passiert ist. Es war in den Ferien; die Sonne schien über dem Schwarzen Meer; mit Freunden war er in einem kleinen Boot hinausgefahren. Immer wieder sprangen sie kopfüber ins Wasser − nicht ahnend, dass das Wasser an dieser Stelle nicht die nötige Tiefe hatte .. .
Und so passierte es. Die verzweifelten Freunde ruderten Andrei an Land. Im Krankenhaus von Constanta konnte man ihm nicht helfen: zwei gebrochene Halswirbel, bewegungsunfähig. Man brachte ihn nach Bukarest – am nächsten Tag. Das war am Wochenende, und der einzige Arzt, der ihn hätte operieren können, "hatte frei". Man hätte Andrei schnellstens operieren müssen, aber man ließ den jungen Mann liegen, tagelang, ohne Sauerstoff. Er fiel ins Koma, dann endlich geschah etwas, viel zu spät kam der "Spezialist". Andrei wog noch vierzig Kilo.
"Ich wäre tot, wenn ich dort geblieben wäre", sagt er leise. Gabrielas Stimme klingt erregt: "Wenn du in Rumänien im Krankenhaus bist, dann musst du viel Geld bezahlen, obwohl du versichert bist, sonst kommt niemand." Noch in der Erinnerung ringt sie um Fassung. "Aber vielleicht schreiben Sie das besser nicht", Andrei spricht noch immer leise. "Oh, warum nicht?", begehrt Gabriela heftig auf. "Im Internet sogar kann man sehen, dass die rumänischen Krankenhäuser nicht nur schlecht sind, sondern sehr, sehr, sehr schlecht."
Die Familie musste handeln. Gabriela musste handeln. Sie hatte nach ihrem Studienabschluss der Internationalen Wirtschaft soeben ein Trainee-Programm in Italien absolviert. Hier kannte sie Menschen, die helfen konnten, weil Gabriela während ihres Studiums bei einem internationalen Hilfsprojekt für Kinder und Jugendliche mitgearbeitet hatte. "Da ist meine Freundin aus Italien gekommen, sie war außer sich über die Zustände in diesem Hospital, hat gesagt: Das ist wie in Afrika."
Andrei hing am Schlauch, vermochte nur zu flüstern, konnte nichts bewegen außer seinen Augen. Fünf weitere Patienten waren im Zimmer, auf 26 Quadratmeter. Vier Monate lag er im Krankenhaus von Bukarest. Münchner Freunde der Italienerin stellten dann den lebensrettenden Kontakt her zu den Ärzten im Klinikum Regensburg. Dafür ist die Familie bis heute dankbar. Doch die italienischen Freunde taten noch mehr: Sie gaben Geld, damit Gabriela mit nach Deutschland fahren konnte, denn Andrej brauchte Tag und Nacht jemanden an seiner Seite, er war ja absolut hilflos. Sie übernachtete im Krankenzimmer an der Seite ihres Bruders.
"Das war wie in einer anderen Welt." Gabrielas Augen weiten sich: "Alles sauber, so perfekt, all die Sachen, die sterilen Dinge, das Zimmer, nicht wie ein Krankenzimmer, es war so schön, so warm, so wohnlich, wie zu Hause." Eine Firma, die zufällig im Klinikum beschäftigt war, schenkte Andrej eine sehr gute Matratze. "Die waren alle so freundlich in Regensburg", sagt Andrei, "so etwas habe ich in Rumänien nie erlebt."
Wichtiger aber noch: Sie hatten ihn sehr erfolgreich operiert. "Nach fünf Tagen schon habe ich begonnen, die Hände zu bewegen." Bei so viel "Sonnenschein", sagt Gabriela, begann Andreis tiefe Depression zu schmelzen und er habe gesagt: "Hier bekomme ich Mut, hier will ich weitergehen." Wenn er auch nicht mehr genau wusste, in welche Richtung.
Denn Andrei hatte Priester werden wollen, seit er zehn Jahre alt war. Dank seiner hervorragenden Noten war er als Internats-Schüler aufgenommen worden in einem Elite-Gymnasium, 500 Kilometer weg von zu Hause, von seinem kleinen katholischen Dorf Oituz, dem religiös geprägten Elternhaus, der vertrauten Umgebung.
Doch auch hier gab es infolge seiner Krankheit dramatische Veränderungen, und das scheint den 21-Jährigen mindestens ebenso zu belasten wie die eigene körperliche Beeinträchtigung. Denn sein Berufswunsch: Personal Trainer Behinderung kostet Geld. Und so ging der Vater, der in Rumänien als Schuster und Metzger nur wenig verdiente, nach Italien, um in einem Schlachthof zu arbeiten. Bruder Stephan brach sein Jura-Studium ab und ging mit dem Vater. Wiederholt haben sie Anträge auf eine Arbeitserlaubnis in Deutschland gestellt − bislang stets vergeblich. Gabriela und der zweite Bruder, Christian, bekamen hingegen eine Arbeitsbewilligung in Passau. Christian, der in Rumänien Tourismus-Wirtschaft gelernt hat, arbeitet hier als Zimmerer, Gabriela hat einen Teilzeit-Job im Stift Rottal gefunden, nachdem Andrei dort in Reha war. Wenn Gabriela arbeiten muss, ist Mutter Cäcilia bei Andrei. Sie war Köchin, in den Sommermonaten geht sie als Putzfrau nach Italien zu Mann und Sohn. Andrei fühlt sich verantwortlich für diese Zerrissenheit seiner Familie.
Doch bei der Abi-Feier, da waren sie alle zusammen: die Mutter, die Geschwister, Vater und Bruder Stephan waren aus Italien gekommen. Und die Mitschüler und Lehrer waren sowieso da. Noch bevor er in ihre Klasse kam, hatten ihn die Mitschüler im Stift Rottal besucht − um Andrei die Angst zu nehmen, man könne ihn nicht annehmen. Sogar ein Benefizkonzert veranstalteten sie für ihn. Die Lehrer haben ihn unterstützt, wo es nur ging − ohne ihm etwas zu schenken. "Immer war jemand da, der geholfen hat, wenn ich Hilfe brauchte", sagt Andrei dankbar.
Im Maristen-Gymnasium hat er im Chor mitgesungen. Früher, in Rumänien, saß er am Schlagzeug in einer Band. Das geht jetzt nicht mehr so ohne weiteres, auch wenn er seine Hände immer besser bewegen kann.
Und jetzt, nach der Schule: Welche Pläne hat Andrei, welche beruflichen Wünsche? Personal Trainer will er werden. Er hat sich in Passau beworben. "Ich möchte, wenn das geht, ,Medien und Kommunikation‘ studieren" sagt er. Und das Priesteramt? Hat sein Glauben oder sein Gottesbild gelitten, weil ihm dieser Weg auf so brutale Art verwehrt wurde? "Nein, ich bin noch der gleiche Junge aus Rumänien, der an Gott geglaubt hat. Ich glaube, Gott war in all der Zeit dabei. Wir haben durch meinen Unfall so viele gute Menschen kennen gelernt − ich glaube, das war sein geistlicher Plan."
M3: PNP, 15.12.2018, Nr. 290, S.27
Der Preis eines selbstbestimmten Lebens
Der querschnittsgelähmte Andrei Chiriches meistert den Berufsalltag trotz seines Handicaps – Möglich gemacht hat es auch eine staatliche Initiative
von Oliver Glombitza
Andrei Chiriches ist ein positiver Mensch. Er scherzt gern und hat stets ein Lächeln auf den Lippen. Gerade bei seiner Arbeit: Seit Mai ist er Trainingsmanager bei der Icunet AG. Das Besondere: Chiriches ist nach einem schweren Unfall querschnittsgelähmt. Dank seines unbedingten Willens und eines Förderprogramms der Arbeitsagentur ist er nun Angestellter und Arbeitgeber zur selben Zeit. Und damit ein Ausnahmefall.
Mit 17 Jahren erleidet Chiriches einen schweren Unfall: Seitdem ist er vom Hals abwärts gelähmt. Nur seine Finger kann er noch etwas bewegen. Aufhalten lässt er sich davon nicht. Aus seiner Heimat Rumänien kommt er 2008 nach Deutschland. Am Maristengymnasium in Fürstenzell macht er 2011 sein Abitur. Anschließend studiert er an der Passauer Universität Sprach- und Textwissenschaften mit einem Schwerpunkt auf dem italienischen Kulturraum.
Chiriches spricht Rumänisch, Deutsch, Italienisch und Englisch. Beste Voraussetzungen für einen Beruf mit internationalem Bezug. Bei der icunet AG arbeitet er als Trainingsmanager: Er organisiert und koordiniert die Schulungen des Unternehmens, die Menschen auf einen Aufenthalt im Ausland vorbereiten. Etwa 250 dieser Schulungen gibt es jährlich – entsprechend groß ist der Aufwand.
Doch bevor Chiriches im Mai in den Arbeitsalltag starten konnte, gab es zwei Hürden zu überwinden: Er ist bei seiner Arbeit auf einen Assistenten angewiesen. Schon allein wegen des morgendlichen Wegs von seinem Wohnort Ortenburg, zur Arbeit nach Passau. Auch der Arbeitsplatz selbst musste erst aufwendig umgebaut werden. Probleme, die eine Zusammenarbeit von gleich vier staatlichen Stellen nötig machte.
Im Jahr 2008 startet bei der Agentur für Arbeit das Projekt "Persönliches Budget". Das Ziel: Menschen mit Behinderung mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Statt der üblichen Dienst- und Sachleistungen erhalten die Teilnehmer die Hilfen, die ihnen zustehen, direkt aufs Konto. Auch Chiriches beantragt dieses "Persönliche Budget." Mit dem Geld stellt er selbst zwei Assistenten an. Einen für drei, den Anderen für vier Tage in der Woche. Mit allem was dazugehört: Chiriches führt Bewerbungsgespräche, stellt Lohnabrechnungen aus und kümmert sich um die Steuern. Einerseits ist er Angestellter, andererseits aber auch Arbeitgeber. Einer seiner Assistenten ist sein eigener Bruder Stefan Chiriches.
Bis es soweit kommen konnte, musste Chiriches allerdings einen bürokratischen Dschungel durchqueren: Nach dem Antrag auf das "Persönliche Budget" bei der Agentur für Arbeit im Oktober 2017 wird das ZBFS-Inklusionsamt tätig. Dieses prüft wie groß der Bedarf an Assistenz wirklich ist. Die Bewertung des Amtes, ist wichtig, um die Höhe des finanziellen Budgets festzulegen. Nach zusätzlichen Prüfungen der Agentur, wurde auf deren Kosten, der Arbeitsplatz in der Roßtränke 3 behindertengerecht umgebaut. Vom Bezirk Niederbayern kommen zusätzliche Mittel zur Finanzierung eines Freizeitassistenten. Dieser hilft Chiriches außerhalb des Berufs, etwa bei seinen Hobbies. Als vierte, involvierte staatliche Stelle gewährt das Jobcenter dem Arbeitgeber einen Eingliederungszuschuss. Bis alles bewilligt ist, dauert es bis in den März 2018.
Chiriches ist glücklich über das Programm, auch wenn es für ihn einen Kraftakt darstellt: "Es kostet mich viel Zeit und Energie, weil ich quasi zwei Jobs gleichzeitig habe, aber es ermöglicht mir ein selbstbestimmtes Leben."
Die Reha-Beraterin Johanna Hasenkopf ist Chiriches Ansprechpartnerin bei der Agentur für Arbeit. Ihr ist kein weiterer Antragsteller für das Persönliche Budget in Passau bekannt: "Der Fall ist bislang einmalig für uns. Das Persönliche Budget wird sehr selten beantragt. Wahrscheinlich auch, weil der Verwaltungsaufwand enorm ist." Dem Geschäftsführer der Agentur, Günter Schmiedl, ist es trotzdem wichtig, ein Zeichen zu setzen: "Wir wollen die Inklusion vorantreiben." Es sei wichtig, die Arbeitgeber für das Thema zu sensibilisieren. Aber auch die Menschen mit Behinderung selbst zu motivieren.
Chiriches Arbeitgeber zeigt sich bislang äußerst zufrieden: "Er ist ein großer Gewinn für unser Unternehmen", sagt Icunet-Geschäftsführer Dr. Fritz Audebert. Er dankt auch den staatlichen Stellen: "Ohne die Agentur für Arbeit und das Jobcenter wäre es nicht möglich gewesen."
M4: Bild von Andrei Chiriches
M5: Bild von Andrei mit seinen Geschwistern Christian und Gabriela
M6: Bild von Andrei Chiriches
M7: Didaktische Impulse
1. Führt folgenden Satz fort: „Wenn ich vom Hals ab gelähmt wäre …“
2. Gabriela kümmert sich um ihren Bruder, anstatt eine berufliche Karriere zu starten: Was würdet ihr investieren, um einem erkrankten Familienmitglied zu helfen? Überlegt mögliche Situationen und diskutiert, wie ihr euch verhalten würdet!
3. Verfasst einen Brief an Andrei! Wenn ihr wollt, könnt ihr ihn auch tatsächlich an ihn schicken: Maristengymnasium Fürstenzell, Schulstraße 18, 94081 Fürstenzell.
M8: Didaktische Impulse
1. Schaut euch die einzelnen Familienmitglieder genau an! Was tun sie, um Andrei zu unterstützen?
2. Sammelt Eigenschaftsworte, die auf Andrei zutreffen!
3. Verfasst einen Briefe an Andrei und seine Familie, in dem ihr beschreibt, was der Zeitungsbeitrag bei euch ausgelöst hat!