Binder, Helene
Thema: Berufung, Evangelische Räte, Glaubenszeugnis, Kloster
M1: PNP vom 07.10.2009, Nr.232, S.31.
Spirituelle Managerin zwischen Himmel und Erde
Priorin Helene Binder von Kloster Neustift ist jetzt auch Oberhaupt der österreichischen und französischen Klöster
Von Gesine Hirtler-Rieger
Neustift/Hutthurm. 140 Nonnen in Deutschland, Frankreich und Österreich haben sie Ende August über ihre Delegierten zur Generalpriorin gewählt und hören fortan auf sie. Mit 47 Jahren ist Schwester Helene Binder vielleicht nicht mehr jung, aber erstaunlich jugendlich für einen Job, der jede Menge Verantwortungsgefühl, Fleiß und Disziplin verlangt. Aber auch die Kraft, andere mitzureißen und für die Ziele der Benediktinerinnen der Anbetung zu begeistern.
All das verkörpert sie - und noch ein bisschen mehr. Von Schock und Freude zugleich erzählt sie, als sie als eine der drei zur Wahl stehenden Priorinnen der deutschen, französischen und österreichischen Provinz zur Generaloberin gewählt wurde. „Das ist schon eine große Aufgabe, der Zusammenhalt in der Kongregation ist sehr wichtig“, sagt sie. Gottlob gibt es Telefon, Internet und E-Mail, wenn schneller Rat gefragt ist.
„Anbetungskongress“ als Event
Gerade mal vor einem halben Jahr zur Priorin von Neustift gewählt, jetzt Chefin der Gesamtkongregation - wie fühlt sich die Hutthurmerin damit, die so gar nicht altehrwürdig erscheint, sondern sehr lebendig wirkt? Da muss sie erst mal überlegen. „Ich bin noch dabei, mich zurechtzufinden“, sagt sie dann. Ihr Job in Neustift ist es zunächst einmal, für jede einzelne Schwester da zu sein, ihre Sorgen und Nöte ernst zu nehmen.
Dann sind da die Pflichten als Schulträger der Mädchenrealschule in Neustift und der Heimvolksschule in Fürstenzell, aber auch des Altenheims Waldesruh in Passau. Noch gewaltigere Aufgaben muss sie als Oberhaupt der Kongregation stemmen: im französischen Kloster Bellemagny, dem Gründungshaus der Benediktinerinnen der Anbetung, steht ein Neubau an, nachdem das alte Gemäuer zusammenzubrechen droht. Ein modernes Kloster zu planen, das ist ein Riesenprojekt.
Sie kann sich auf die Hilfe ihrer Mitschwestern verlassen, sagt sie und strahlt dabei gelassene Zuversicht aus. Das ist überhaupt ihr großes Ziel: als Gemeinschaft zu wachsen in Überzeugung für Jesus, und diese Freude auch nach außen zu tragen. „Heute muss man das viel offensiver tun als früher“, sagt sie. Und dann erzählt sie mit ansteckender Begeisterung von ihren Plänen: Einen „Anbetungskongress“ plant sie im nächsten Sommer in Neustift, mit zwei Bands und einem indischen Laienprediger, um zu zeigen, dass Anbetung Kraftquelle und Erfüllung sein kann: „Das wird ein Event für alle!“, sagt sie vergnügt.
Der Weg ins Kloster war ihr nicht in die Wiege gelegt, daraus macht sie keinen Hehl. Eine Spätberufene ist die studierte Diplomtheologin, die erst mit 31 in den Orden eintrat. Die geborene Hutthurmerin arbeitete zunächst als Religionslehrerin und hatte sich viel Zeit für ihre Entscheidung genommen. Das Leben draußen war ihr zu wenig intensiv, die Suche nach größerer religiöser Erfahrung führte sie ins Kloster. Jedoch nicht leichten Herzens, das macht sie ganz deutlich: „Das war verbunden mit sehr vielen Ängsten.“
Die Ängste kann man an der Klosterpforte nicht abgeben - Krisen gibt es immer wieder: „Ich kann hier nicht mehr vor mir und den anderen davonlaufen und muss mich stellen. Das ist schmerzlich, es gibt nicht mehr so viele Auswege. Aber nur dadurch kann die religiöse Suche an Intensität gewinnen“, meint sie nachdenklich. Für ihre Familie war ihr Gang ins Kloster schwierig: „Für meinen Vater war das furchtbar. Aber er hat mir trotzdem zuhause eine Wohnung ausgebaut - ich kann jederzeit heimkehren.“ Dieser familiäre Rückhalt ist ihr unendlich wichtig.
Auch ihr Bruder Alfred Binder ist Pfarrer geworden - wenn auch ein ganz besonderer. Als „Cowboy Gottes“ hält er regelmäßig in Pullman City Gottesdienste und hat schon so manchen Westernfan wieder für die Kirche begeistern können. Daraus den Schluss zu ziehen, dass das Elternhaus der Geschwister sehr religiös geprägt war, ist falsch, meint Priorin Helene Binder: „Meine Eltern sind nicht jeden Sonntag in die Kirche gegangen und waren keineswegs stockkatholisch - es ging ihnen eher um Menschlichkeit.“
Diese Menschlichkeit findet sie im Kloster ebenso, auch wenn die Riten und Regeln auf Außenstehende sehr streng wirken. Doch sie bergen Vorteile, sagt die Priorin, die man erst auf den zweiten Blick wahrnimmt: „Zum Beispiel der Habit - mit der Ordenstracht bin ich immer richtig gekleidet. Nie muss ich mich mit der lästigen Frage beschäftigen, was ich heute wieder anziehen soll.“ Der Habit ist zugleich Zeugnis und Erkennungsmerkmal. Das heißt aber nicht, dass Helene Binder nicht auch ohne Ordensgewand sein kann: „Beim Joggen trage ich natürlich Sportbekleidung“, sagt sie ganz selbstverständlich. Und im Urlaub lässt sie sich gerne vom Wind die Haare zausen.
Zukunft der Schulen offen
Doch in Kloster Neustift ruft jetzt die Pflicht, und da gibt es einiges zu erledigen, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Immer weniger Frauen treten in den Orden ein, das hat Konsequenzen. Kann das Kloster auch weiterhin Träger der Schulen in Neustift und Ortenburg bleiben, wenn weniger Nonnen aus den eigenen Reihen als Lehrerin bereit stehen, oder muss eine andere Organisationsform gefunden werden? „Wenn unsere bayerische Provinz weiter schrumpft, werden wir die Weichen mittelfristig neu stellen müssen“, überlegt die Priorin. Sie will die Herausforderungen annehmen, aber nichts übers Knie brechen.
Auf ein Projekt freut sie sich jedoch: Hinter der Abtei soll ein Meditationsgarten entstehen, der auch für die Menschen jenseits der Klostermauern zugänglich sein wird. Ein „Garten der Stille“, in dem nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Spaziergänger zur Ruhe kommen. Und vielleicht können diese dann etwas von dem klösterlichen Frieden in die betriebsame Hektik ihrer Welt hinüber retten.
M2: Foto von Helene Binder
M3: Ausstellungstafel
Die Ausstellungstafel entstammt der Wanderausstellung "Tolle Typen heute", die ausgeliehen werden kann. Weitere Informationen siehe Wanderausstellung