Becherer, Femke
Thema: Eigeninitiative, Nachhaltigkeit, Schöpfung
M1: "Schule und Kirche", Die Fachzeitschrift der Hauptabteilung Schule und Erziehung, September 2020, Nr. 191, S. 15-17
„WARUM ICH MICH BEI EXTINCTION REBELLION ENGAGIERE!“
Ein Interview mit Klimaschutz-Aktivistin Femke Becherer
von Eva-Maria Sewald
Extinction Rebellion (dt. „Rebellion gegen das Aussterben“) ist eine Umweltschutzbewegung mit dem Ziel, durch Mittel zivilen Ungehorsams Regierungen zu Maßnahmen gegen das Massenaussterben von Tieren und Pflanzen sowie das mögliche Aussterben der Menschheit als Folge der Klimakrise zu zwingen. Sie entstand im Jahr 2018 in England und ist inzwischen weltweit aktiv.
Erzähl doch zu Beginn einfach erstmal ein bisschen was über Dich ...
Mein Name ist Femke und ich bin 25 Jahre alt. Ich habe im Sommer meinen Bachelor in Psychologie abgeschlossen und möchte im nächsten Sommer meinen Master machen. Obwohl die Psychologie immer noch ein sehr wichtiges Thema für mich ist, weiß ich noch nicht genau, in welche Richtung ich gehen werde.
Ich habe dich um dieses Interview gebeten, weil Klimaschutz ein besonders wichtiges Thema für Dich ist. Wie kam es dazu?
Mit dem Thema beschäftige ich mich schon sehr lange und ich habe viel darüber in den Nachrichten gehört. Dann fing es an, dass ich mich mit jeder neuen Nachricht immer ohnmächtiger gefühlt
habe. Ich habe mich so richtig hilflos und ratlos gefühlt. Dann war ich im Sommer letzten Jahres auf einem Vortrag von Extinction Rebellion und mein Interesse für die Gruppe wurde geweckt.
Weißt Du noch, was das Thema des Vortrags war?
Der Vortrag war sehr, sehr bedrückend. Es ging darum, was uns in den nächsten Jahrzehnten erwartet. Was mich aber richtig abgeholt hat, war der sogenannte Call to Action. Das bedeutet, dass Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man ins Handeln kommen kann. Ich habe gemerkt, wie sich meine Ohnmacht ein bisschen gelegt hat und dass ich vielleicht wirklich was bewirken kann – auch als
einzelne Person. Das war für mich ein entscheidendes Argument dafür, bei Extinction Rebellion aktiv zu werden.
Was genau fordert Extinction Rebellion?
Die erste Forderung ist, dass die Wahrheit gesagt werden muss. Das bedeutet, dass Politikerinnen und Politiker endlich das, was die Wissenschaft schon seit Jahren sagt, in den öffentlichen Diskurs
bringen müssen. Also dass die Politik aufhören soll, die Katastrophe zu verharmlosen oder sogar zu leugnen. Die zweite Forderung lautet: Handelt jetzt! Die Klimakrise ist nichts, was uns in der Zukunft er-
wartet, sondern wir sind schon mittendrin. Es gibt jetzt schon Trockenzeiten und Menschen sterben. Tausende Tierarten sind bereits durch die Folgen der klimatischen Veränderungen ausgestorben. Es
muss jetzt was passieren. Die letzte Forderung ist die nach Bürgerinnen- und Bürgerversammlungen. Dabei geht es darum, die Gesellschaft einzubeziehen und Verantwortung und Mitbestimmung an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben. Die Mitglieder der Versammlung werden per Zufall so ausgewählt, dass sie im Kleinen die Gesellschaft widerspiegeln. Die Versammlung wird über mehrere Wochen von unabhängigen Expertinnen und Experten informiert. Auf dieser Grundlage verfassen die Mitglieder der Versammlung im Anschluss Empfehlungen mit den zu ergreifenden Maßnahmen für die Politik. Der Vorteil dieser Versammlung ist, dass sie nicht dem Druck der Wiederwahl oder von Umfragewerten ausgesetzt ist. Sie kann somit nachhaltigere Entscheidungen treffen, die sich langfristig positiv auf die Gesellschaft und Umwelt auswirken. Diese Forderung klingt erstmal sehr abstrakt und kompliziert, ausführlich kann man sie auf der Website von Extinction Rebellion nachlesen.
Wenn wir uns auf politischer Ebene umschauen: Wo findet Ihr Gehör?
Fridays for Future hat schon viel Bewusstsein und Gehör geschaffen, was toll ist. Aber es wirkt nicht so, als ob Politikerinnen und Politiker uns beziehungsweise die Krise wirklich so ernst nehmen, wie sie es sollten. Ein kleiner Erfolg ist, dass nach Aktionen von Extinction Rebellion in England das Vereinigte Königreich „climate emergency“ ausgerufen hat. Während einer Blockade-Aktion in Berlin vor dem Umweltministerium kam auch ein Vertreter des Ministeriums, um mit uns zu sprechen. Ich glaube schon, dass Menschen uns zuhören und auch gut finden was wir machen, trotzdem passiert weiterhin kaum etwas.
Welche Rolle spielt ziviler Ungehorsam, wenn es darum geht, Euch Gehör zu verschaffen? Und wie positioniert ihr Euch zu Vorwürfen, Ökoterrorismus auszuüben?
Ich kann verstehen, dass Menschen sich in ihrer Lebensweise bedroht fühlen und zum Beispiel nicht auf ihr Auto verzichten möchten. Aber da kann ich auf die dritte Forderung zurückkommen: Wir wollen
niemandem diktieren, was gemacht werden soll, sondern wir möchten die Entscheidung an die Bürgerinnen und Bürger geben. Das heißt: Alle können ihre Ideen einbringen. Vielleicht können Menschen sogar auch weiterhin mit dem Auto fahren, wenn andere Maßnahmen ergriffen werden. Ansonsten sind wir strikt gewaltfrei, tun niemandem weh, wir versuchen Sachbeschädigungen zu verhindern und räumen sogar nach unseren Aktionen auf. Ziviler Ungehorsam mag auf einige sehr radikal wirken. Wenn man das aber in Relation zu dem sieht, was uns die nächsten Jahre erwartet, ist es für mich einfach nur ein logischer Schritt, um die Menschen wachzurütteln. Für mein Gefühl ist es eher radikal oder extrem, dass Leute immer noch ihrem normalen Alltag nachgehen.
Was gibt Dir Hoffnung? Was treibt Dich an?
Hoffnung ist ein schwieriges Wort in dem Zusammenhang, weil ich nicht genau weiß, ob ich große Hoffnung habe. Ich sehe nicht, dass in den nächsten Jahrzehnten die Veränderung passieren wird, die passieren muss. Aber mich treibt an, dass wir endlich aufhören müssen und ich auch endlich aufhören möchte, so zu tun, als würden wir ein normales Leben leben können, während andere Menschen auf der Welt schon an den Folgen des CO2-Ausstoßes von Europa und den USA sterben. Ich habe so viele Menschen kennengelernt, die genau die gleiche Frustration, genau die gleiche Ohnmacht spüren und das lässt mich weiter kämpfen. Ich habe das Gefühl, wir werden immer mehr. Ich weiß aber nicht, ob das ausreichen wird, weil wir nur noch so wenig Zeit haben.
Kann man sagen, dass Dein Engagement für das Klima auch was mit Deiner Spiritualität zu tun hat?
So wie ich Spiritualität definiere, würde ich schon sagen, dass mein Engagement etwas damit zu tun hat. Spiritualität ist für mich etwas, was mich bewegt, was mich berührt und mich antreibt. Mein Engagement für den Klimaschutz nimmt zur Zeit fast mein ganzes Leben ein. Gemeinsam mit anderen Menschen für unseren Planeten zu kämpfen, gibt mir dabei Kraft.
Wie denkst Du, wird sich Dein Lebensweg in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
Eine Prognose, wie mein Leben aussehen wird, ist schwierig. Hätten wir eine Welt, in der alles okay wäre, wäre ich schon in meinem Master in der Klinischen Psychologie. Aber durch die Katastrophe, die
uns erwartet, habe ich das Gefühl, dass ich meine Kräfte erstmal in den Klimaschutz und den Kampf für Klimagerechtigkeit investieren muss. Deswegen möchte ich eher in einen Studiengang wechseln, der es mir ermöglicht, irgendwann für eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten, die sich zum Beispiel für Nachhaltigkeit einsetzt. Das ist es, was die Menschheit am meisten braucht und auf einem
toten Planeten kann ich ohnehin nicht als Therapeutin arbeiten.
Hast Du Tipps für uns Otto Normalverbraucher, wie wir den Klimaschutz unterstützen können?
Es ist wichtig, das eigene Leben umzustrukturieren und den Klimaschutz darin zu integrieren. Zum Beispiel also darüber nachzudenken, seinen Fleischkonsum zu reduzieren. Ich glaube, dass es sehr viel
in unseren Köpfen bewegt, wenn wir diese Schritte gehen. Aber ich finde auch, dass es extrem wichtig ist, nicht zu vergessen, dass wir, selbst wenn alle Menschen auf der Welt vegan leben würden, noch einen CO2-Ausstoß hätten, der einfach zu hoch ist. Was wirklich passieren muss, sind große strukturelle Veränderungen. Deswegen wäre ein weiterer Tipp, auf lokaler Ebene das Gespräch mit Politike-
rinnen und Politikern zu suchen. Auch auf einem niederschwelligen Aktionslevel kann man schon sehr viel Druck ausüben. Und je mehr Menschen umdenken, mitmachen und ihre Energie reingeben, desto mehr Druck lastet auf der Politik und umso realistischer wird es, dass hoffentlich doch noch was passiert.
M2: Bild von Femke Becherer
M3: Didaktische Impulse
1. Beschreibe in eigenen Worten, worum es bei "Extinction Rebellion" geht.
2. Nimm Stellung: Was schätzt du an Femke Becherers Einsatz für den Klimaschutz? Gibt es auch kritische Punkte im Rahmen ihres Engagements? Tausche dich anschließend in einer Kleingruppe über deine persönliche Meinung aus.
3. Welche Tipps gibt Femke Becherer in dem Interview, wie jede Person den Klimaschutz unterstützen kann? Welche weiteren Aspekte fallen euch ein? Erstellt gemeinsam eine Liste mit Dingen, die zum Klimaschutz beitragen. Erweitert die Liste mit konkreten Umsetzungsbeispielen für euren Alltag.