Baumgartner, Claudia
Thema: Ehrenamt, Freiwilligendienst
M1: PNP, 09.04.2016, Nr. 82, S. 37
Freundliche Menschen und böse Geister
Sechs Monate engagierte sich Claudia Baumgartner ehrenamtlich als Englischlehrerin auf Bali
von Korbinian Klinghardt
Fürstenzell. Weiße Sandstrände, azurblaues Meer und die Exotik der asiatischen Kultur – das schätzen deutsche Touristen an der indonesischen Insel Bali. Das Paradies hat jedoch auch seine Schattenseiten. Wer von der Landwirtschaft nicht leben kann – auf etwa einem Viertel der Insel wird Reis angebaut –, der versucht sein Glück in der Tourismusbranche. Doch sie ist Segen und Fluch zugleich. Touristen bringen zwar Geld ins Land, doch unter dem Ausbau an Hotel-Infrastruktur leidet vor allem die Umwelt. Das weiß auch Claudia Baumgartner aus Fürstenzell. Ein halbes Jahr engagierte sie sich in einer Organisation, die sich darum bemüht, benachteiligte Frauen für eine Arbeit im Hotel- und Gaststättengewerbe vorzubereiten. Wie der Alltag der 23-Jährigen fern ab ihrer niederbayerischen Heimat aussah und welche Eindrücke und Erfahrungen sie geprägt haben, darüber sprach sie mit der Heimatzeitung.
Interesse an Kultur und Menschen
Was bewegt eine junge Frau nach dem Studium ins Ausland zu gehen, um sich ehrenamtlich an einem gemeinnützigen Projekt zu beteiligen? "Das ist eine gute Frage. Ich wollte unbedingt nochmal ins Ausland.", sagt Baumgartner. Und was reizte sie an der tropischen Insel im pazifischen Ozean? Die Kultur und die Menschen. "Bali war sofort klar."
Bevor es Anfang Oktober im vergangenen Jahr ernst wurde, musste sie improvisieren. Ursprünglich hatte sich Claudia Baumgartner für ein Umweltprojekt beworben, sollte indonesische Kinder und Jugendliche im Bereich Umwelterziehung weiterbilden. Wenige Wochen vor ihrer Abreise erhielt sie die Anfrage, ob sie sich auch eine Arbeit als Englischlehrerin bei Bali WISE, einem Projekt der Nicht-Regierungs-Organisation ROLE Foundation, vorstellen könnte. Ohne zu zögern sagte sie zu.
"Das war super", zieht Baumgartner Bilanz. In zwei Klassen unterrichtete sie junge Frauen im Alter von 17 bis 26 Jahren. Dass sie keine studierte Lehrerin, keine ausgebildete Pädagogin ist, war kein Problem. Die 23-Jährige wusste sich zu helfen. "Ich habe genau das gemacht, was ich gerne gemacht hätte im Englischunterricht", sagt sie und lächelt. Über youtube hat sie der Klasse zum Beispiel Hörspiele vorgespielt, anschließend wurde darüber gesprochen. Durch Rollenspiele sollte das Sprachverständnis und die Aussprache verbessert werden.
Die meisten ihrer Schülerinnen stammten aus Reisbauer-Familien, aus sehr armen Verhältnissen. Manche hatten Kinder zu versorgen, obwohl es ihnen selbst am Nötigsten fehlte. Andere hatten Familienangehörige verloren, teilweise durch Gewalt, wohl auch durch kriminelle Banden, zum Beispiel der Mafia. Englisch zu lernen ist für diese Frauen existenziell. Ohne Sprachkenntnisse haben sie keine Perspektive im Tourismusgeschäft.
Das Schuljahr gliedert sich in einen jeweils dreimonatigen theoretischen und praktischen Teil. Nach der Theorie absolvieren die Frauen Praktika in Hotels. Ob sie anschließend übernommen werden, ist ungewiss. Während der Schulzeit erhalten die Frauen ein Stipendium. Damit bezahlen sie die Unterkunft – über den Unterrichtsräumen gibt es Schlafräume – und das Essen. Die Schule, die es seit 2007 gibt, könne man sich wie ein Internat vorstellen, sagt Baumgartner.
Der Unterricht auf Bali sei nicht vergleichbar, mit dem Unterricht in einer deutschen Schule. Zwar war das Klassenzimmer technisch gut ausgestattet, mit Computer, Internet und Beamer, doch müsse man als Lehrer mehr improvisieren. Zum Beispiel dann, wenn das Internet mal wieder nicht funktioniert oder der Strom ausfällt. Auch die Hitze im Klassenzimmer sei manchmal schier unerträglich gewesen, erinnert sich die Fürstenzellerin. Eine Klimaanlage im Unterrichtsraum gab es nicht, stattdessen Ventilatoren, doch bei mehr als 30 Grad hätten diese auch nicht viel genutzt. Wohl deswegen ist einmal im Unterricht eine Schülerin ohnmächtig geworden. Als ihre Mitschüler sie ins Bett brachten, fing sie zu schreien an. Eine war dadurch so verunsichert, dass sie glaubte, die Ohnmächtige sei von einem bösen Geist befallen. Um ihr den Geist auszutreiben, fing die Schülerin plötzlich zu beten an, erzählt Baumgartner. Als die 23-Jährige nachfragte, was es mit den Geistern denn auf sich habe, bekam die Klasse dann noch mehr Angst: "Die glauben halt einfach an solche Sachen."
Was Baumgartner besonders beeindruckte, war die Lernbereitschaft ihrer Frauen. "Alle waren motiviert, sie wussten, das ist ihre Chance." Dass die Schülerinnen so ehrgeizig waren, habe ihr die Arbeit sehr erleichtert.
Gelassen bleiben, sich weniger sorgen
Und was nimmt sie mit aus ihrer Zeit auf Bali? Gelassener möchte sie bleiben, sich weniger Sorgen machen. "Don’t worry, be happy", lautet ihr Motto. In den sechs Monaten habe sie außerdem erfahren, dass materieller Wohlstand nicht notwendig ist, um glücklich zu sein. In Deutschland gehe es den Menschen sehr gut und trotzdem beschweren sich die Leute zu oft über Kleinigkeiten. "Wir haben viel zu viel Luxus und lernen es nicht zu schätzen. Wir haben alles was wir wollen und wollen trotzdem immer mehr", kritisiert Claudia Baumgartner. Auf Bali hingegen hätten die Menschen wenig, seien aber glücklich.
Und so sehr sie auch von Bali schwärmt und klarstellt, dass sie nie wirkliches Heimweh empfand – eine Sache hat sie doch vermisst: Nirgendwo auf der Welt gebe es so gutes Brot wie in Deutschland, ist Claudia Baumgartner überzeugt.
M2: Foto von Claudia Baumgartner
M3: Didaktische Impulse
1. "Wir haben viel zu viel Luxus und lernen es nicht zu schätzen. Wir haben alles was wir wollen und wollen trotzdem immer mehr." Lasse diesen Ausspruch von Claudia Baumgartner auf dich wirken und notiere dir, was für dich Luxus ist, was du zum Leben brauchst, was du bereits hast und was du noch haben willst (auch nicht-materielle Dinge!).
2. Betrachte noch einmal die von dir notierten Stichpunkte zum ersten Impuls und ordne sie in einer Wortpyramide wie folgt an: Das Wichtigste für dich zum Glücklich-Sein kommt auf die Spitze der Pyramide, darunter zwei weniger wichtige Begriffe, dann drei, ... bis du mind. zehn Dinge nach deinem eigenen Glücks-Prinzip kategorisiert hast.
3. Reflektiere anschließend, welche Schlüsse du daraus für dein Leben ziehen kannst: Machen dich mehr materielle oder ideelle Dinge glücklich? Auf welchem Stand deiner "Glücks-Leiter" bist du gerade? Möchtest du in nächster Zeit etwas Konkretes aus deiner Liste umsetzen, um glücklicher zu werden? Gibt es Dinge, die du noch ergänzen möchtest oder die bei genauerem Überlegen ihren Stellenrang mit einem anderen Gut wechseln?
4. Tausche dich anschließend mit deinem Banknachbarn über deine Einstellung zu einem glücklichen Leben und dem Weg dorthin aus. Erfährst du etwas Interessantes von deinem Gesprächspartner, was deine Sicht nochmal verändert?
5. Claudia Baumgartner nimmt sich nach ihrem Aufenthalt in Bali, wo die Menschen zwar wenig hätten, aber trotzdem glücklich seien, vor: "Don't worry, be happy". Formuliere auch du für dich nun nach eingängiger Beschäftigung mit deinen Vorstellungen von einem glücklichen Leben ein Motto, unter dem du die nächste Zeit erleben willst und gestalte dazu ein kleines Plakat, dass sozusagen ein "Aushängeschild", eine Erinnerung und zugleich Motivation für dich darstellen soll!