Grundmüller, Sabine
Thema: Altenhilfe, Ehrenamt, Eigeninitiative, Freiwilligendienst, Tod
M1: PNP Nr. 94, 22.04.2024, S. 24
Der letzte Wunsch ist oft ganz simpel“
PNP: Für viele ist das Innere des Herzenswunsch-Krankenwagens – kurz HWK – einer der letzten Orte, den sie sehen. Die meisten Ihrer Fahrgäste sterben kurz nach dem Ausflug. Ist der HWK für Sie ein trauriger oder ein schöner Ort?
Sabine Grundmüller: Für mich ist es ein sehr schöner, ein erfüllender Ort. Ich denke da z.B. an einen Mann, der in München aufwuchs und dort jeden Tag im Botanischen Garten Blumen und Tiere fotografiert hat. Dort traf er sich täglich mit anderen Fotografen. Als er Krebs bekam, zog er in die Nähe seiner Schwester nach Passau. Sein innigster Wunsch war es, noch einmal seine Tiere, Blumen und vor allem die Freunde im Botanischen Garten zu sehen. Als ob wir das Wetter so bestellt hätten, war es ein warmer, sonniger Frühlingstag.
Als sie dann zusammen im Biergarten saßen und die Menschen mitbekamen, dass wir hier einen Herzenswunsch erfüllen, kamen einige Besucher des Botanischen Gartens auf uns zu und bedankten sich spontan bei uns für das tolle Projekt. Einer schenkte uns sogar selber gestaltete Karten. Zu sehen, wie unser Fahrgast diesen Tag genossen hat, ging sogar uns unter die Haut. Es ist eine Gnade, wenn man bei solchen Momenten dabei sein darf.
„Zur Erstkommunion meiner Schwester gehen“ ist so ein einfacher, unausgefallener Wunsch. Sind das die meisten Wünsche, die Sie erfüllen?
Ja, der letzte Wunsch ist oft ganz simpel. Als wir mit den Herzenswunsch-Krankentransporten begonnen haben, waren wir nervös, weil wir nicht wussten, was uns erwartet. Können wir diese Wünsche überhaupt erfüllen? Was, wenn jemand eine Berühmtheit treffen oder weit ins Ausland reisen oder Fallschirm springen will? Wie soll das gehen? Tatsächlich sind die Wünsche fast immer klein. Die letzte Fahrt war eine Frau mit Krebs im Endstadium. Ihr Mann ist während der Pflege bewusstlos zusammengebrochen und nach Regensburg in die Uniklinik geflogen worden. Die Frau wollte einfach noch einmal ihren Mann sehen. Das ist der banalste, naheliegendste Wunsch, den man sich vorstellen kann. Es geht oft um Grundbedürfnisse. Noch einmal den Liebsten sehen, noch einmal im Arm gehalten werden. Das ist am Ende das, was wirklich zählt.
Seit 2019 fährt der HWK in Passau. Wie kam es dazu, dass Sie sich des Projekts von Anfang an angenommen haben?
Ich war ehrenamtlich schon immer sehr aktiv bei den Maltesern, auch neben meiner hauptamtlichen Arbeit als Wachleiterin in Hutthurm. Ab und zu kommen von der Zentrale Vorschläge und Anregungen. Eines Tages 2018 wurde per E-Mail die Idee vom HWK verbreitet, mit der Frage, ob das was für Passau wäre. Das Konzept hat mich sofort begeistert. Ich dachte mir: Wir haben die Autos und die richtige Ausbildung, wir könnten sofort loslegen. Also bin ich zu unserem Rettungsdienstleiter Werner Kloiber gelaufen und habe darauf bestanden, dass wir das machen müssen. Er hat sich überzeugen lassen und viel Energie in das Projekt gesteckt.
Erinnern Sie sich an den ersten Wunsch, den der HWK erfüllt hat?
Die erste Herzenswunsch-Fahrt war noch inoffiziell. Die Tochter einer Mitarbeiterin hatte Erstkommunion und die krebskranke Oma wollte dabei sein. Die erste offizielle Fahrt ging nach Würzburg. Eine Frau wollte noch einmal dorthin, es war ihre Heimat. Wir haben sie mit einem Rettungswagen hingefahren. Das war eine langsame, ruckelige Fahrt. Eine Woche blieb die Frau in Würzburg und konnte sich dort nach und nach von allen ihren Verwandten verabschieden. Danach haben wir sie wieder abgeholt.
Was ging Ihnen bei dieser Fahrt durch den Kopf? Schließlich wussten Sie, dass die verbleibende Lebensspanne Ihres Fahrgasts sehr kurz ist.
Zuerst dachte ich, dass es mich sehr traurig stimmen wird. Aber das Gegenteil war der Fall. Es hat mich erfüllt, und diese Erfüllung hat die Traurigkeit klar überwogen. Ich war sehr dankbar, dass ich diese Frau begleiten durfte. Natürlich ist es traurig, wenn wir danach erfahren, dass jemand gestorben ist. Aber auch da überwiegt die Freude darüber, dass wir den Wunsch noch erfüllen konnten. Das Schlimmste ist, wenn wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen.
Kommt das oft vor?
Leider immer wieder. Vor knapp zwei Wochen erst wurden wir nur vier Stunden vor der Fahrt darüber informiert, dass es dem Patienten so schlecht geht, dass die Fahrt nicht mehr möglich ist. Wenn wir einen Tag früher gefahren wären, hätten wir den Wunsch noch erfüllen können. Das ist bitter.
Worüber reden Sie mit Ihren Fahrgästen?
Die Gespräche ergeben sich ganz automatisch. Oft werden diese Menschen gemieden, die Leute reden nicht gerne über den Tod und wollen nichts Falsches sagen. Wir fangen damit an, dass wir uns über das Medizinische unterhalten, schließlich sollen die Patienten während der Fahrt bestmöglich versorgt werden, wir wollen auf alles vorbereitet sein.
Wir machen auch den einen oder anderen Witz, schließlich soll das keine Trauerprozession werden. Und wir Rettungsdienstler sind alle nicht auf den Mund gefallen (lacht).Wenn das Eis gebrochen ist, reden die Leute von sich aus über das, was ihnen wichtig ist. Natürlich erzählen sie uns vor allem, warum sie genau diesen oder jenen Wunsch haben.
Wie sieht der Weg vom Wunsch zu seiner Erfüllung aus? Wie kommen die Leute zu Ihnen?
In den meisten Fällen wird bei uns in der Dienststelle angerufen. 90Prozent der Fahrten kommen direkt durch Palliativstationen, Altenheime oder Pflegeeinrichtungen zustande. Dort wissen alle, dass es uns gibt. Danach rufen entweder mein Kollege Martin Lang oder ich direkt bei den Patienten an. Dann fragen wir das Medizinische ab und schauen, ob die Fahrt überhaupt möglich ist.
Das machen Sie neben Ihrer hauptamtlichen Tätigkeit?
Ja. Wenn ich gerade keinen Einsatz habe, rufe ich während meiner Arbeitszeit an, aber meistens dauert so ein Gespräch gut eine Stunde, dafür muss man sich Zeit nehmen. Meistens rufe ich von daheim aus an. Da wird dann auch meine Familie ausgeklammert, während dieses Gesprächs darf mich daheim niemand stören, da bin ich ganz für die Kranken da.
Wie viele Fahrten macht der HWK im Jahr?
Im Schnitt ist es eine Fahrt im Monat, Tendenz steigend. Vor kurzem hatten wir in einer Woche drei Fahrten, manchmal haben wir einen Monat lang keine einzige. Wir würden jedenfalls gerne noch mehr Wünsche erfüllen.
Was ist das Witzigste, was Ihnen je beim HWK passiert ist?
Am meisten lachen musste ich mit dem alten Schachspieler. Wieder ein banaler Wunsch: Er hat das internationale Schachturnier in Ortenburg organisiert. Dann ist er ganz schwer an Krebs erkrankt und wollte unbedingt trotzdem beim Turnier vor Ort sein. Er war eigentlich schon präfinal und nicht mehr transportfähig. Aber als er gehört hat, dass wir ihm den Wunsch erfüllen wollen, hat er neue Kraft geschöpft. Er hat quasi seinen Sterbeprozess pausiert, hat das Gehen geübt und wieder gegessen. Das war unglaublich!
Als wir dann in Ortenburg waren, wollten wir uns im Hintergrund halten. Das machen wir eigentlich immer. Ich wollte ihm meine Handynummer geben, damit er uns Bescheid geben kann, sobald er fahren will, während wir in der Stadt warten. „Nix da“, hat er gesagt. „Sie bleiben zum Essen da! Wir haben schon aufgetragen für Sie! Und was ist, wenn ich doch noch 20 Jahre lebe? Dann hatten Sie den ganzen Aufwand und die Kosten und ich hab Ihnen nicht einmal was zum Essen spendiert!“ (lacht)
Sie wirken alleine beim Erzählen dieser Geschichte glücklich.
Ja, bin ich auch. Es war wunderschön.
Andererseits fahren auch Kinder mit dem HWK, wie der Dreijährige, der einmal noch eine Giraffe füttern wollte und eine Woche danach starb. Lässt einen so ein Schicksal nicht an Gott und der Welt zweifeln?
Wenn es um Kinder geht, dann ist es natürlich schrecklich. Da denke ich mir schon manchmal: „Himmel, wie kann es sowas geben? Wie darf das sein?“ Und man fragt sich vor allem, wie die Menschen, wie die Eltern so etwas aushalten. Und man fragt sich, was wirklich wichtig ist im Leben.
Hat sich Ihr Blick auf das Leben durch solche Fahrten verändert?
Ja, schon. Viele Dinge, über die ich mich früher groß aufregen konnte, sind jetzt nicht mehr wichtig für mich. Konsum im Allgemeinen ist mir nicht mehr wichtig. Wozu brauche ich einen Sportwagen mit allen Schikanen, wenn die wichtigen Wünsche so viel einfacher und schöner sind?
Tatsächlich wollen Sie ein Auto mit allen Schikanen, aber nicht privat. Der HWK ist in die Jahre gekommen, und das Ersatzfahrzeug soll alle Stücke spielen können.
Ja. Das neue Fahrzeug soll alle Kriterien eines Krankenwagens erfüllen, aber für solche Fahrten viel besser geeignet sein. Unser jetziger ist ein gebrauchter Krankenwagen aus Österreich, der hat schon viel mitgemacht, und er wird auch noch einige Jahre durchhalten müssen. Deshalb haben wir früh mit der Spendenkampagne angefangen. Wir brauchen eine Ausstattung, die in Krankenwagen nicht vorkommt, weil sie für den normalen Einsatz nicht gebraucht wird. Das fängt bei der Gepäcksicherung an und geht über spezielle Kraftknoten im Boden für große Rollstühle bis hin zur Panoramaverglasung, damit die Leute noch einmal so viel von der Natur sehen wie möglich. Je mehr Geld zusammenkommt, desto mehr Komfort können wir uns für die Patienten leisten.
Was glauben Sie, wie lange es dauert, bis genug Geld zusammengekommen ist?
(lacht) Ich habe gerade erst mit Werner Kloiber um ein Tragerl Bier gewettet. Er sagt, es dauert zwei Jahre, ich bin pessimistischer und sage, dass es bis zu fünf Jahre dauern könnte.
Eine gute Wette für Sie: Wenn Herr Kloiber gewinnt, freuen Sie sich über den neuen HWK, und wenn Sie gewinnen, kriegen Sie ein Trostbier.
(lacht) Stimmt eigentlich!
Angenommen, Sie selbst erkranken schwer. Was wäre Ihr letzter Wunsch an den HWK?
Das kann ich nicht endgültig beantworten. Ich glaube, das weiß man erst, wenn man in der Situation ist. Vielleicht würde ich mir wünschen, noch einmal mit meiner Familie einen Tag in meinem Garten verbringen zu können. Ganz sicher würde ich mir wünschen, dass jemand das HWK-Projekt weiterführt und genau so viel Herzblut hineinsteckt wie Martin Lang und ich.
Interview: Johannes Munzinger
Spendenkonto: Malteser Hilfsdienst e.V. Pax-Bank eG
IBAN:DE14370601201201217012
BIC: GENODED1PA7
Verwendungszweck: Herzenswunsch-Krankenwagen
M2: Bild von Johannes Munzinger
M3: Didaktische Impulse
1. Sammelt in Partnerarbeit Sabine Grundmüllers Beweggründe für ihre Arbeit im Herzenswunsch-Krankenwagen.
2. Gibt es auch in eurer Umgebung eine Organisation, die Menschen ihren letzten Wunsch erfüllt? Informiert euch über Angebote in eurer Nähe.
3. Hast du aktuell einen kleinen Wunsch, der bald in Erfüllung gehen sollte?