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MoWo

Mobile Würdekonzepte: KI-gestützte Analyse historischer Begründungsstrukturen und Verwendungskontexte
Mobile Würdekonzepte: KI-gestützte Analyse historischer Begründungsstrukturen und Verwendungskontexte

In ihrem Projekt „MoWo“ (Mobile Würdekonzepte - KI-gestützte Analyse historischer Begründungsstrukturen und Verwendungskontexte) untersucht Prof. Dr. Ulrike Müßig vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte historische Verwendungskontexte für Würde(n).

Menschenwürde ist nicht nur in aller Munde, oft steht sie pars pro toto für Menschenrechte oder gleich für die gesamte Verfassungsordnung: „Die Menschenwürde regiert das Grundgesetz“ (Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat). Ihre „Unveräußerlichkeit“ (UDHR 1948) und „Unverletzlichkeit“ (GG 1949) sind (nicht nur sprachlich) so großartig, dass wir uns nicht klarmachen, dass Würde an sich kein Rechtsbegriff ist. Hier setzt MoWo an, welches als Akronym auch bewusst auf die verdrehte Spiegelung von „Momo“ (Michael Ende) anspielt. Der Einsatz von KI in der Rechtsgeschichte soll nicht „gestohlene Zeit“ zurückbringen; vielmehr steht die Titelfigur von Endes Märchenroman und seine verlassene Theaterruine für das, was einverfassungsrechtliches Bekenntnis zur Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG leisten kann: „es [spielt] keine Rolle, wie alt jemand ist, welchen Beruf er ausübt, ob er in der Schule Klassenbester ist oder ein Vermögen auf der Bank liegen hat.“ Um die Funktionalität der Menschenwürdegarantie juristisch umzusetzen, ist die provokante Klarstellung entscheidend – Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt MoWo –, dass Menschenwürde an sich keinen gesicherten juristischen Inhalt hat. Das lässt sich daran nachverfolgen, dass es lediglich singuläre Entscheidungen des BVerfG gibt, die sich allein auf eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG stützen, während sonst immer„konkrete“ Grundrechtsverletzungen untersucht werden. Die juristische Funktionalität von Menschenwürde ist – vereinfacht ausgedrückt - kontextabhängig und setzt sich damit der paradoxen Perplexität aus, dass sie als heuristische Quelle für die juristische Ahndung konkreter Respektlosigkeiten dient, ohne selbst einen allgemeinen, rechtlich abstrahierbaren Inhalt aufzuweisen. Es ist unklar, worin die Menschenwürde eigentlich gründet – und an gewichtiger juristischer Begrifflichkeit wie „oberster Verfassungswert“, „oberstes Konstitutionsprinzip“ fehlt es nicht - und was sie verfassungsrechtlich „unantastbar“ macht. Methodisch ist daher eine Minimierung naheliegend, nämlich auf das, was jedem eingängig wäre, wenn es den Art. 1 Abs. 1 GG gar nicht gäbe. Für die inhaltliche Ausgestaltung dieser Minimierung soll mit MoWo die Grundlage geschaffen werden, indem die maschinelle Verarbeitung von rechtshistorischen Texten mit dem Ziel des inhaltlichen Erkenntnisgewinns mittels KI vorbereitet wird. Diese methodische Minimierung bietet zwei Vorteile:

1. die Berufung auf die Menschenwürde kann nicht „missbraucht“ werden, um Diskussionen über herausfordernde Themen wie Pandemiemanagement, Gentechnik oder assistierten Suizid abzuwürgen.

2. die Vereinnahmung der Menschenwürde durch partikuläre Ideologien oder theologische Überhöhungen wird verunmöglicht bzw. erschwert und überhaupt erst einmal erkennbar.

Die Rechtsgeschichte bietet diese methodisch notwendige Minimierung durch eine strenge Historisierung des Art. 1 der AEMR von 1948 und des Art. 1 Abs. 1 GG von 1949 als Reaktionen auf die Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Zuvor bedurften Menschen- und Bürgerrechte vom Frühkonstitutionalismus (ab 1776 bzw. 1789) bis zu den republikanischen Verfassungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts keiner Fundamentalbegründung aus dem Wesen des Menschen. So formulierte die Weimarer Reichsverfassung 1919 die Grundrechte nach dem Vorbild der Paulskirchenverfassung 1848/49 als Deutschenrechte und stellt den Republikbezug an den Anfang des Verfassungstextes. Die kursorische Bestandsaufnahme durch historische Verfassungstexte bestätigt die juristische Zurückhaltung von MoWo: einen verbürgten rechtlichen Inhalt der Menschenwürde gibt es nicht, vielmehr kamen zahlreiche historische Verfassungen ohne ihn aus (und manche historische Verfassungen wie die amerikanische von 1787 haben bis heute ihre Gültigkeit behalten). Die Rechtsgeschichte verfügt demnach über das methodische Werkzeug, dem „metaphysischen Begründungsbrei“ zur Menschenwürde Einhalt zu gebieten, wenn sie KI-gestützt die abundanten historischen Quellenbestände durchforstet, in denen Würde, dignitas, dignity, dignité, dignità in frühen historischen Kontexten zum ersten Mal vorkommt und die Verwendungshäufigkeiten listet:

• die Gottesebenbildlichkeit im mittelalterlichen kanonischen Recht des 12. bis 15. Jahrhunderts,

• die Würde des Bürgers in den Statuten der oberitalienischen Städte des 14. bis 16. Jahrhunderts,

• die Würde der Landeigentümer in den Kolonialdiskursen des 16. und 17. Jahrhunderts

• die aufgeklärte Würde selbstbestimmten Lernens und Handelns in den Aufklärungsdiskursen des 17. und 18. Jahrhunderts

Das Forschungsvorhaben erhält eine sechsmonatige Projektfinanzierung durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Es war erfolgreich bei einem Ideenwettbewerb, der im Rahmen des BMVI-Verbundprojekts „KIMoNo“ (KI-basierte typübergreifende Mobilitätsoptimierung in non-urbanen Regionen) durchgeführt wurde.

Projektleitung an der Universität Passau Prof. Dr. Ulrike Müßig (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte)
Laufzeit 01.05.2021 - 31.10.2021
Website https://www.uni-passau.de/kimono/ideenwettbewerb/
Themenfelder Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte, Künstliche Intelligenz, Rechtswissenschaften, Rechts- und Staatsphilosophie, Rechtsgeschichte, Verfassungsgeschichte, Rechtstheorie, Künstliche Intelligenz, Bild- und Sprachverarbeitung
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