Hutthurm - Friedhof
Gedenkstein an die Opfer der Zwangsabtreibungen von 1943 bis 1945 in Hutthurm
Bearbeitet von Diana Stock-Megies
Mehr als 12 Millionen Frauen und Männer aus allen Teilen Europas wurden zwischen 1939 und 1945 im Deutschen Reich durch Zwangsarbeit ausgebeutet. Sehr viele von ihnen kamen aus Polen, Weißrussland, Russland und der Ukraine.
In den ersten Jahren wurden Zwangsarbeiterinnen, die ein Kind erwarteten, entlassen und nach Hause geschickt. Doch dann richtete man für schwangere Ostarbeiterinnen eigene Entbindungsstationen ein und ihre Situation wurde durch weitere Bestimmungen immer härter. Ihre Kinder, die bei der Geburt "arisch" aussahen, kamen in Pflegeheime und konnten von Deutschen adoptiert werden. Die anderen kamen in "Ausländerkinder-Pflegestätten", in denen die Sterblichkeitsrate sehr hoch war. Die Beerdigungskosten mussten die Mütter bezahlen. Es wird außerdem davon ausgegangen, dass ein Viertel der Schwangerschaften durch Zwangsabtreibungen beendet wurden.
Der Leiter der Reichsärztekammer Abt. Niederbayern verlegte alle genehmigten Schwangerschaftsunterbrechungen ins Hutthurmer Krankenhaus, in die "Ostarbeiterbaracke". Ein Arzt nahm zwischen 1943 und 1945 mehr als 200 Abtreibungen vor. Er hatte aber nicht die übliche personelle Unterstützung bei den Operationen, denn die "Barmherzigen Schwestern" des Krankenhauses verweigerten aus Gewissensgründen die Mithilfe.
Von Seiten der Kirche kam weiterer Widerstand, allerdings erfolglos. Seit 1938 war Johann Winkler (*1885) Pfarrei im Marktort Hutthurm. Er war entschiedener Gegner der Nationalsozialisten und machte sich unter anderem gegen das Euthanasieprogramm stark, als geistig Behinderte seiner Pafrrei in die Tötungsanstalt Schloß Hartheim bei Linz verlegt wurden. Als die Zwangsabtreibungen in Hutthurm unter schlechten hygienischen Bedingungen begannen, gingen er und der Benefiziat Georg Reis ganz entschieden gegen das Töten der Kinder vor. Doch bis April 1945 wurden über 200 Schwangerschaftsunterbrechungen durchgeführt.
Pfarrer Winkler wurde in den Wirren der letzten Kriegstage durch den Kommandanten einer SS-Division verurteilt und mit weiteren Menschen aus Passau zur Exekution weggeführt. Hier verliert sich seine Spur. Für Johann Evangelist Winkler und andere Passauer Priester, die durch die Nationalsozialisten getötet wurden, gibt es einen Erinnerungsort im Dom St. Stephan in Passau.
Der Arzt, der die Abtreibungen in Hutthurm durchgeführt hatte, wurde nach dem Ende der NS-Herrschaft für zwei Jahre in Landsberg interniert. Im Jahr 1949 wurde er "von Kriegsverbrechen" freigesprochen sowie als "Mitläufer" eingestuft und arbeitete weiter als Chirurg.
(Quellen. s. Literatur: Pontz: Gedenkstein; Wurster: Winkler; Bundesarchiv: Zwangsarbeit.)
Im Hutthurmer Krankenhaus wurden unter dem Regime der Nationalsozialisten von 1943 bis 1945 regelmäßig Zwangsabtreibungen vorgenommen, mehr als 200 Kinder von Zwangsarbeiterinnen wurden hier getötet.
Die sterblichen Überreste von über 200 Kindern sowie einer polnischen jungen Frau, die bei der Abtreibung starb, ruhen in Hutthurm. Auf dem alten Friedhof hinter der Pfarrkirche St. Martin erinnert ein Gedenkstein an die Frauen und ihre ungeborenen Kinder.
Hier in der Nähe wurden vermutlich auch Kinderleichen beigesetzt, denn einige sind von Benefiziat Georg Reis notgetauft und in den Sterbematrikeln der Pfarrei aufgeführt worden. Die sterblichen Überreste der meisten abgetriebenen Kinder wurden vermutlich in der Nähe der "Ostarbeiterbaracke" beim Krankenhaus verscharrt.
Die Inschrift des Gedenksteines lautet:
"Gewaltsam gezerrt aus der Geborgenheit des Mutterleibes
Zum Gedenken an die über 200 Kinder, die von 1943 bis 1945 im Krankenhaus in Hutthurm durch Zwangsabtreibung getötet wurden
Gewaltsam getrennt von Heimat und Familie und von dem Leben, das in ihnen heranwuchs
Zum Gedenken an die Mütter dieser Kinder, die als Zwangsarbeiterinnen vor allem aus Polen und der Ukraine einem menschenverachtenden Regime ausgeliefert waren
Gewaltsam gesprengt aus dem Leben
Zum Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus"
Andrea Pontz: Gedenkstein auf dem alten Hutthurmer Friedhof für die zwangsabgetriebenen Kinder, ihre Mütter und alle Opfer des Nationalsozialismus, in: Katholische Pfarrkirchenstiftung Hutthurm (Hg.): Pfarrkirche St. Martin Hutthurm, Geschichte und Geschichten. Festschrift zur Renovierung der Pfarrkirche und des Kirchenumfelds, Hutthurm 2016, S. 74-79.
Festschrift des Pfarrverbandes Hutthurm: Festschrift.pdf (pfarrverband-hutthurm.de)
Zum Hutthurmer Pfarrer:
- Gedenkort im Dom St. Stephan in Passau mit Erinnerung an Johann Evangelist Winkler
- Herbert W. Wurster: Pfarrer Johann Evangelist Winkler, in: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Hrsg. Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, Band 1. Vierte, vermehrte und aktualisierte Auflage. Ferdinand Schöningh, Paderborn 1999, S. 514-516.
Das Bundesarchiv zum Thema Zwangsarbeit im NS-Staat: Zwangsarbeit und Schwangerschaften von Zwangsarbeiterinnen
Zum Gerichtsverfahren der Witwe des Arztes gegen Anna Rosmus:
- Anna E. Rosmus: Wintergrün. Verdrängte Morde, Konstanz 1993.
- Grob entstellt. Die Amateurhistorikerin Anna Rosmus, berühmt als »Schreckliches Mädchen von Passau«, soll NS-Greueltaten eines Arztes erfunden haben, aus: DER SPIEGEL 32/1993: Grob entstellt - DER SPIEGEL
- Das Oberlandesgericht München: Urteil vom 26.01.1994
48.67212, 13.47096