Thema: Unterrichtsprojekt (Grundschule 2. Klasse): Franz von Assisi – Ein Vorbild für Kinder von heute? Materialbausteine: M1: Grundsätzliche Informationen M2: Stundenintention M3: Unterrichtsverlauf M4: Überlegungen zur Stunde M5: Fazit und Literaturquelle
M1: Grundsätzliche Informationen - Klasse: 2 - Schüler/-innen: 23 - Mädchen: 14 - Jungen: 9 - Dauer: 60 Minuten
M2: Stundenintention 1. Die Sch. sollen erkennen, wie schwierig es ist, gegen den Strom zu schwimmen. 2. Die Sch. sollen Stationen aus dem Leben des hl. Franziskus kennen lernen. 3. Die Sch. sollen sich Situationen überlegen, in denen auch sie, wie Franziskus, jemanden helfen können.
M3: Unterrichtsverlauf
Anlage 1: Lehrererzählung Ich erzähle dir eine Geschichte von einem Mädchen, das Mary heißt. Mary wohnt in Afrika und hat viele Freunde. Weil Marys Papa in Deutschland eine neue Arbeit hat, muss das Mädchen ihre Freunde verlassen und nach Deutschland ziehen. Dort geht Mary auf eine neue Schule an der sie niemanden kennt. Mary hat Angst. Sie denkt: „ Wie werden die anderen Kinder sein? Nett, oder gemein, weil ich fremd bin und auch anders aussehe?“ Als Mary zum ersten Mal in die Klasse geht starren alle Kinder sie an. Sie tuscheln und lachen. Mary hört „schwarz“, „komisch angezogen“ und „seltsam“. Sie setzt sich still in die letzte Bank und traut sich gar nicht mehr etwas zu sagen. In der Pause steht Mary ganz alleine in einer Ecke und niemand kümmert sich um sie. Sie denkt an Afrika und vermisst ihre Freunde. Da beginnt das Mädchen zu weinen. Dicke Tränen kullern über ihr Gesicht. Ein paar ältere Schüler sehen das und stellen sich um Mary im Kreis auf. Sie zeigen mit dem Finger auf das weinende Mädchen und rufen: „ Heulsuse, Heulsuse!“ Laura steht in der Nähe. Ihr tut das Mädchen leid, das so von den älteren Kindern ausgespottet wird. Sie sagt zu ihrer Freundin Pia: „ Ich gehe hin, weil sie mir leid tut.“ Pia kann das nicht verstehen: „Warum denn? Du kennst sie doch gar nicht! Sie werden auch DICH auslachen, wenn du zu ihr hältst!“ „Das ist mir egal. Ich kann doch nicht einfach zuschauen, wie das Mädchen weint oder sogar noch mitmachen.“ Laura geht zu Mary in den Kreis, gibt ihr ein Taschentuch und nimmt sie bei der Hand. „Laura ist die Freundin von Heulsuse! Laura ist auch eine Heulsuse!“ schreien die Kinder im Kreis. Sie lachen über Laura und Mary. (Unterbrechung) Da läuft die Lehrerin auf die Gruppe zu. „Ihr solltet euch alle schämen! Ihr lacht alle gemeinsam über ein trauriges Mädchen, das ganz alleine ist. Dazu brauch man nicht mutig sein.“
Anlage 2: Stationen aus dem Leben des Franziskus Ø Station 1: Franz pflegt Kranke Text: In der Stadt gibt es viele kranke Menschen. Sie haben eine Krankheit, die Lepra heißt. Diese kranken Menschen müssen vor der Stadt ohne Häuser und Medizin leben, weil ihre Krankheit ansteckend ist. Deshalb wollen gesunde Menschen nichts mit ihnen zu tun haben. Franz sieht, wie schlecht es diesen armen und kranken Menschen geht. Sie tun ihm leid. Darum geht er zu diesen Kranken und hilft ihnen. Er denkt sich: „Jesus hat sich um die Kranken gekümmert. Ich werde das auch tun, weil jeder Mensch wichtig ist.“ Arbeitsauftrag: Lies den Text genau und mache ein kleines Schauspiel. Überlege dir: Welche Personen du brauchst, was diese Personen sagen könnten und was diese Personen machen könnten. TIPP: Schau dir die Dinge in deiner Tüte gut an, vielleicht fällt dir etwas ein. Spiele den anderen Kindern im Stuhlkreis vor, was in deiner Geschichte passiert. Material: schwarze Tücher (Kranke), Verband, bunte Tücher (Franz und gesunde Menschen), Bild und Wortkarten für Tafel
Ø Station 2: Franz gibt seinem Vater die Kleider zurück Text: Franz pflegt Kranke. Dazu nimmt er Geld aus dem Geschäft seines Vaters, ohne zu fragen. Als der Vater das merkt schreit er: ,,Jetzt reicht es! Du bekommst nichts mehr von mir! Kein Geld und keine schöne Kleidung!" Franz wird wütend und wirft seinem Vater sein ganzes Geld und seine Kleidung vor die Füße: "Weder Geld noch Kleider will ich von dir. Von jetzt an kenne ich nur noch einen Vater, den im Himmel!" Franz zieht ein einfaches, braunes Gewand an. Arbeitsauftrag: Lies den Text genau und mache ein kleines Schauspiel. Überlege dir: Welche Personen du brauchst, was diese Personen sagen könnten und was diese Personen machen könnten. TIPP: Schau dir die Dinge in deiner Tüte gut an, vielleicht fällt dir etwas ein. Spiele den anderen Kindern im Stuhlkreis vor, was in deiner Geschichte passiert. Material: Bunte Tücher (Vater, Franz), braunes Tuch (Franz), Goldtaler, Bild und Wortkarten für Tafel
Ø Station 3: Franz wird ausgelacht und bekommt dann Hilfe Text: Die Menschen in Assisi lachen Franz aus, weil er nichts mehr mit seinem Vater zu tun haben will. „Der ist doch verrückt! Er hat alles, was man sich wünschen kann und dann wirft er alles weg. Die schönen Kleider und das ganze Geld!“ Doch langsam begreifen die Bürger, dass Franz etwas sehr wichtiges tut. „Gut, dass sich jemand und die Kranken kümmert. Das ist wichtig.“ Sie bewundern ihn und immer mehr Menschen helfen Franz bei seiner Aufgabe. Arbeitsauftrag: Mache zwei Standbilder. Ein Kind sagt den anderen, was sie anziehen, wie sie sich hinstellen sollen und wie sie schauen sollen. Die andern Kinder machen das und dürfen sich dann nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen. Zeige den Kindern im Stuhlkreis deine zwei Standbilder. Material: Bunte Tücher (Bürger von Assisi), braunes Tuch (Franz), schwarzes Tuch (Kranke), 2 Verbände, Bild und Wortkarten für Tafel
Ø Motivation: Die Geschichte mit dem Mädchen „Mary“ war für die Kinder gut verständlich. Sie konnten sich gut in die Situation einfühlen. In gewisser Weise ist die Geschichte auch als Dilemma angelegt, da sich Laura, und mit ihr die Schülerinnen und Schüler, entscheiden muss, ob eine Einmischung stattfinden soll. In der Unterbrechung reichten die Äußerungen dazu von „Des (sich gegen die Mehrheit stellen) dad i nie“ bis zu „Ja, des is richtig, weil ma Schwächere helfa muas“. Ein Kind brachte dann die Sache mit der Feststellung, dass es sehr schwierig ist, sich gegen die Mehrheit zustellen, auf den Punkt. Darin waren sich die Schüler/-innen dann schnell einig. Mit dieser kindgerechten Dilemma-Geschichte war der Anfang in der Diskursethik angesiedelt. Damit wurden die Kinder gleich für das Leid und die Not Anderer sensibilisiert. Zusätzlich wird durch die Geschichte eine Art „Schutzraum“ geschaffen, in dem die Kinder nicht gleich „Farbe bekennen“ müssen. Sie haben die Möglichkeit, eine fremde Position, zum Beispiel die von Laura, zu vertreten.[1] Durch die stellvertretende Verstärkung, die durch das mutige Handeln von Laura, und somit den „Sieg des Guten“, erfolgt, wird den Kindern die Richtigkeit von mutigem Handeln in der Unterstützung von Hilfsbedürftigen ganz deutlich bestätigt.[2] Die Unterbrechung in der Geschichte ist meiner Meinung nach unbedingt nötig um zu verhindern, dass man den Kindern einfach mit dem erhobenen Zeigefinger eine vor gefasste Meinung und damit auch eine bestimmte moralische Haltung über stülpt.
Ø Erarbeitung: Die Stabpuppe war für die Kinder wichtig, um überhaupt eine Vorstellung vom hl. Franz zu entwickeln. So konnten sie ihre Aussagen und Gedanken ganz konkret mit einem Bild verbinden. Auch die Einführung in das ganz gewöhnliche Leben des Franziskus als Kind und Jugendlicher war von enormer Bedeutung. So konnte eine Brücke zwischen der historischen Gestalt und den Kindern von heute entstehen. Denn Freunde haben, Feiern und auch Eltern die stolz auf ihr Kind sind, sind Dinge die vor 800 Jahren nicht viel anders waren als heute. Die Schüler/-innen haben verstanden, dass auch der spätere Heilige ein ganz normales Leben geführt hat. Dies war für die Identifikation mit diesem großen historischen Heiligen von enormer Bedeutung.[3] Zur Erarbeitung der Unterschiede zu einem ganz gewöhnlichen Leben habe ich mich für eine Gruppenarbeit entschieden. Dadurch kann das Leben des Franziskus intensiver und auch dauerhafter erarbeitet werden. Denn den Kindern bleibt das, was sie selber erarbeitet haben besser im Gedächtnis haften, als etwas, das ihnen einfach auf einem Arbeitsblatt oder in einem Lesetext präsentiert wird. Diese Art der Erarbeitung „ermöglicht ein intensiveres gesamtkörperliches Einfühlen in die Situation und Gefühlslage der einzelnen Personen.“[4] Die Schüler/-innen haben die Anweisungen auf den Karten gut verstanden und da die Arbeitstechniken (eine Szene darstellen, Standbild) bereits bekannt waren konnte gleich in den Gruppen begonnen werden. Sonst müsste man noch zusätzlich Zeit einplanen, um die Arbeitsaufträge genau zu erklären. Die Kinder konnten die gewünschten Darstellungen zeigen, wobei die Utensilien in den Tüten von großem Vorteil waren. Ohne diese Hilfestellungen wären die Anforderungen für eine zweite Klasse in den meisten Fällen zu hoch. Besonders in der ersten Station war die Begeisterung für diesen Heiligen zu erkennen. Bei der Präsentation entstand eine kleine Diskussion, was denn vom Benehmen des Franziskus zu halten sei. Die zwei Hauptaussagen waren: „Der spinnt ja! Der hod ja eh alles.“ und „Der is voll cool, dass sich der des traut! Des darf ma ned, weil ma dem Papa folgen muss!“ Insgesamt lässt sich sagen, dass die Begeisterung für den Rebellen Franziskus dann überwog. Diese Station hat die Schüler/-innen wirklich neugierig gemacht, wie es dann mit dem hl. Franz weiter ging.
Ø Vertiefung: Beim anschließenden Gespräch im Sitzkreis haben sich die Kinder dann alle einen „Lieblingsaspekt“ überlegt. Mir war es wichtig, dass dieser auch wirklich gut begründet war. Einige Kinder haben sich die erste Station ausgesucht und die Begründung dazu war, dass Franziskus darin als Rebell auftritt. Auffallend war dabei, dass sich überwiegend sehr stille Kinder für diesen Aspekt begeisterten, was vielleicht darauf hindeutet, dass gerade sie sich wünschen, einmal auch zu „rebellieren“. Die meisten Schüler/-innen haben die zweite Station gewählt. Diesen Kindern ist die Perspektivenübernahme gut gelungen.[5] Oft war der Grund dafür, dass sie wissen, dass es wichtig ist, anderen zu helfen. Ein Kind hat mich bei der Begründung ganz enorm beeindruckt. Dieser Junge hat das historische Geschehen in sein eigenes Leben integriert und deshalb gesagt, dass diese Station die beste ist, weil es so schön ist, wenn sich jemand um einen kümmert, wenn man krank ist. Genau wie seine Mama, die sich dann immer ganz besonders lieb um ihn kümmert. Er hat sich in die Situation der Kranken hinein versetzten können, was in diesem Alter eine große Leistung ist.
Ø Reflexion: Auf dem Gutschein haben die Kinder dann eingetragen, wofür er ist und für wen. In einigen Fällen waren auch Sachen wie abspülen oder Staub saugen vertreten, aber es haben für mich auch überraschend viele Kinder Gutscheine über eher soziale Dinge ausgestellt, z.B. die Oma öfter besuchen oder der Mama eine Tee kochen, wenn sie mal krank ist. Diese Kinder sind entwicklungstechnisch schon erstaunlich weit. Nach Lawrence Kohlberg befinden sich Kinder im Grundschulalter gewöhnlich noch auf der präkonventionellen Stufe des Moralischen Urteils, was bedeutet, dass sie sich vor allem an Eigennutz, und Gewinndenken orientieren. Erst später kommt dann das Ausgleichs- und Austauschprinzip dazu. Erst dadurch verstehen Kinder, was andere Menschen für sie tun und geben dann dafür auch zurück, wozu sie in der Lage sind.[6]
[1] Vgl. Mendl S. 74-76. [2] Vgl. Mendl S. 52. [3] Vgl. ebd. S. 40. [4] Ebd. S. 90. [5] Vgl. ebd. S. 91f.. [6] Vgl. ebd. S. 80.
M4: Fazit und Literaturquelle Durch die Biografie des Franziskus ist es möglich, ihn in das Hier und Jetzt zu holen. Diese aktuellen Aspekte stellen eine Verbindung zu den Kindern her, da sie sowohl heute als auch vor 800 Jahren gleich waren. Franziskus könnte genau so gut im 21. Jahrhundert aufwachsen, wo er ein Kind aus reichem Haus mit vielen Freunden wäre. Diese Ähnlichkeit schafft eine sichere Basis, damit sich die Kinder dann auch emotional in das Leben des Franziskus hinein denken können. Die Neugier weckt dann die Situation vor dem Bischof, als der hl. Franz seinem Vater die Kleider vor die Füße wirft. Diese Szene ist den Kindern völlig fremd und entspricht überhaupt nicht ihrem Alltag. Dadurch wird Franziskus zum Exoten. Dieses Anderssein weckt in den Schülern und Schülerinnen die Neugier. Insgesamt bin ich der Meinung, dass sich Franziskus grundsätzlich als „Vorbild“ nicht eignet, denn ein solches „regt den eigenen Lebensentwurf an und dient zur Nachahmung“[1]. Es wäre wenig wünschenswert wenn die Kinder nach der Stunde zu Hause ihren Eltern die Kleider vor die Füße werfen und fortan ihre Zeit bei schwerkranken und ansteckenden Menschen verbringen würden. Was Franz von Assisi auf jeden Fall für die Schülerinnen und Schüler sein kann ist ein Modell, ein Held oder natürlich ein Heiliger. Im Unterschied zum Vorbild wird bei einem Modell nicht das ganze Leben in den Blickpunkt gerückt. Es werden „ausgewählte Konflikt- und Entscheidungs-situationen“[2] heraus gezogen, an denen sich die Kinder orientieren können, ohne diese wirklich so zu erleben. Beim Modelllernen ist es nicht das Ziel, dass die Schüler und Schülerinnen das gelernte eins zu eins umsetzten. Es geht vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung mit Lebensentscheidungen anderer Menschen, um zur Reflexion des eigenen Handelns fähig zu werden.[3] Durch seinen selbstlosen und mutigen Einsatz für Andere ist Franziskus ganz eindeutig auch ein Held. Wie beim Modelllernen geschieht eine „Orientierung an Helden (…) weniger mit dem Ziel einer unmittelbaren Nachahmung, sondern sie dient der Wertebildung.“[4] Beim hl. Franz sind diese auffälligen Werte Mut, Hilfsbereitschaft, Nächsten- und Gottesliebe. Gerade durch die urchristlichen Werte Nächsten- und Gottesliebe sticht Franz von Assisi als Heiliger geradezu ins Auge. Das Leben eines Heiligen soll die Menschen nicht zum Nachmachen anregen, sondern einfach ein Sinnbild für gelingendes Christentum sein. Die Nachahmung ist selten empfehlenswert, gerade weil auch viele Heilige Märtyrer sind. Um diese ungewöhnlichen Lebensgeschichten dennoch begreifbar zu machen ist es nötig, die großen Heiligen zu „erden“[5]. Wenn dies didaktisch gut durchdacht geschieht, kann Franziskus durchaus auch als Heiliger einen tiefen Eindruck bei den Kindern hinterlassen.[6]
[1] Mendl S. 39. [2] Ebd. S. 39. [3] Vgl. ebd. S. 39. [4] Ebd. S. 40. [5] Ebd. S. 40. [6] Vgl. ebd. S. 40.
Literaturquelle: Mendl, Hans, Lernen an (außer-) gewöhnlichen Biografien. Anregungen für die Unterrichtspraxis, Donauwörth 2005.
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